Drei Fragen zur elektronischen Patientenakte
Serie zur Digitalisierung in der Medizin, Teil 1
Digitalisierung in der Medizin ist derzeit in aller Munde. Was muss man über die Inhalte der Diskussionen wissen? Und was bedeuten die vielen technischen Begriffe? Darum geht es in unserer neuen Serie. In dieser ersten Folge schauen wir uns die elektronische Patientenakte genauer an.
Was ist eine elektronische Patientenakte – kurz ePA – und wozu wird sie benutzt?
Bei jedem Arztbesuch wird mitgeschrieben: Warum ist der Patient oder die Patientin gekommen? Was sind die Beschwerden? Welche Diagnose wird gestellt? Und wie soll die Therapie aussehen? So entsteht im Laufe der Zeit eine mehr oder weniger umfangreiche Akte mit patientenbezogenen Gesundheitsdaten.
Derzeit werden diese Daten lediglich vor Ort in der jeweiligen Arztpraxis oder im Krankenhaus aufbewahrt. Auch wenn das bereits elektronisch gemacht wird, können diese Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen die Praxis oder das Krankenhaus verlassen. Denn die ärztliche Schweigepflicht muss gewahrt bleiben. Konkret bedeutet das: Immer, wenn ein Wechsel ansteht, etwa wenn die Hausärztin eine Spezialistin hinzuzieht, Patienten ins Krankenhaus müssen oder danach wieder von der Hausärztin behandelt werden, müssen diese Informationen mit Zustimmung des Patienten ausgetauscht werden. Allerdings haben die Beteiligten derzeit keinen Zugriff auf die elektronischen Daten einer anderen Praxis oder eines Krankenhauses. Deshalb geschieht dieser Austausch meist per Arztbrief, den der Patient mit zum nächsten Arzt nimmt oder der gefaxt oder per Post verschickt wird.
Das könnte in Zukunft mit einer ePA nicht mehr nötig sein. Die Idee: Berechtigte Personen wie Ärztinnen und Ärzte sollen auf alle gespeicherten Gesundheitsdaten auch außerhalb ihrer eigenen Praxis oder des Krankenhauses zugreifen können. Dazu müssen komplizierte technische Voraussetzungen geschaffen werden. Denn die Daten sollen sowohl vor dem Zugriff Dritter sicher als auch von verschiedenen Geräten aus lesbar sein.
Diese beiden Voraussetzungen stehen in einem Spannungsverhältnis: Denn je sicherer die Daten sind, desto aufwendiger und meist unbequemer ist es, sie zugänglich zu machen. Und je mehr Menschen auf die Daten zugreifen möchten, desto ausgeklügelter muss die technische Architektur dafür sein.
Um dieses Dilemma aufzulösen, hat der Gesetzgeber bereits 2004 damit eine eigens dafür geschaffene Gesellschaft betraut: die Gematik.1 Hier arbeiten Verbände von Krankenhäusern, Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Informations-Technologie-Dienstleister zusammen an einer Lösung für die technische Seite der ePA.
Welche Vor- und Nachteile gibt es?
In der ePA sollen die gleichen Gesundheitsdaten gespeichert werden wie bereits jetzt in Arztpraxis und Krankenhaus. Die Daten werden derzeit jedoch oft nicht in Form von lesbarem Text gespeichert, sondern mithilfe von verschiedenen Kodierungsschlüsseln aus Zahlen und Buchstaben, die sich je nach Information und Institution unterscheiden. So werden die verordneten Arzneimittel anders kodiert als die Diagnose oder die Art der Krankengymnastik. Das erschwert den Informationsaustausch, so dass Briefe und andere Mitteilungen „im Klartext“ derzeit sehr wichtig sind.
Die ePA soll diese Kodierungen zukünftig für die verschiedenen Berufsgruppen und auch die Patientinnen und Patienten lesbar machen. Sie sollen eindeutig und nach Schlagwörtern durchsuchbar sein. Deshalb ist es nicht hilfreich, Arztbriefe zu scannen und sie als PDF oder als Bild in die ePA zu laden.
Dann erst sind ePA für Patienten und Patientinnen tatsächlich nützlich: Wenn wichtige Informationen zu ihrer Person und ihren Erkrankungen an jeder Stelle des Gesundheitswesens zugänglich sind. Das kann Missverständnisse, doppelte oder falsche Untersuchungen und Behandlungen vermeiden und notwendige Therapien werden nicht vergessen. Im Idealfall würde sich also die Versorgung verbessern, auch weil sie transparenter und damit leichter überprüfbar wäre.
Auf der anderen Seite könnte genau diese Transparenz ein Nachteil sein, zum Beispiel dann, wenn die Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten. Das könnte etwa bei einem Hackerangriff oder bei Sicherheitslücken in der Software passieren. So könnten etwa Firmen die Möglichkeit bekommen, bei Menschen mit bestimmten Gesundheitsproblemen gezielt für zusätzliche kostenpflichtige Untersuchungen oder Behandlungen zu werben. Mit dem Wissen um bestimmte gesundheitliche Risiken könnte auch eine Lebensversicherung den Beitrag erhöhen.
Deshalb befürchten Kritiker, dass Patientinnen und Patienten mit der ePA keine Kontrolle darüber haben, wer ihre Daten einsehen kann, und dass sich damit zudem leicht die ärztliche Schweigepflicht unterlaufen lässt.
Wie wird die deutsche Version der elektronischen Patientenakte vermutlich aussehen?
Der Gesetzgeber verlangt, dass die Patientensicherheit und das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis durch die ePA nicht gefährdet werden. Deshalb hat die Gematik den Auftrag, Anforderungen („Spezifikationen“) für die ePA zu entwickeln, die das gewährleisten sollen.
Diese Spezifikationen sind im Dezember 2018 veröffentlicht worden. Allerdings werden sie derzeit noch sehr kontrovers diskutiert. Deshalb steht bislang noch nicht genau fest, wie die ePA aussehen wird, ob und wie Patientinnen und Patienten selbst die Daten einsehen können. Klar ist allerdings: Sie sollen künftig selbst entscheiden können, ob sie eine ePA nutzen wollen und welche Daten darin gespeichert werden. Ab 2021 soll die ePA flächendeckend eingesetzt werden.2
Was außerdem feststeht: Die Leitungen für den Datenaustausch – also zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern, niedergelassenen Therapeuten, Pflegediensten, Apotheken und Altenheimen – sollen vom allgemeinen Internet unabhängig sein. Dafür ist der Aufbau einer sogenannten Telematik-Infrastruktur nötig. Das ist eine Art deutschlandweites Intranet – also ein Leitungsnetz, zu dem nur Zugriff bekommt, wer die entsprechende Berechtigung dafür nachweisen kann. Diese Berechtigung soll über sogenannte Konnektoren organisiert sein – Kartenlesegeräte, die in Praxen und Krankenhäusern installiert werden. Dabei wird die elektronische Gesundheitskarte („Chipkarte“), die es ja schon seit 2013 gibt und inzwischen an alle Versicherten verteilt ist, auch eine Rolle spielen.
Einige Krankenkassen bieten ihren Versicherten jetzt schon einen Vorläufer der elektronischen Patientenakte an: elektronische Gesundheitsakten, die in den nächsten zwei Jahren in ePA umgewandelt werden sollen. Was es damit auf sich hat, beleuchtet die nächste Folge unserer Serie.
Stand: 29. April 2019 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2019 / S.25