Hilft transkranielle Pulsstimulation bei Alzheimer-Demenz?
Trotz viel Werbung sind Nutzen und Risiken der Behandlung unzureichend untersucht
Transkranielle Pulsstimulation lässt Menschen mit Alzheimer-Demenz und deren Angehörige auf Heilung hoffen. Aber was ist über die teure Methode bekannt?
Wer im Internet nach Informationen zur Alzheimer-Erkrankung sucht, findet dort bald die Website „Alzheimer Deutschland“. Bereits auf ihrer Startseite titelt sie: „Alzheimer-Demenz endlich behandelbar!“ Die Behauptung: Dank transkranieller Pulsstimulation (TPS) könnten Alzheimer-Patienten endlich wieder auf ein normales Leben hoffen.1
Dabei gilt die Alzheimer-Demenz in medizinischen Fachkreisen als nicht heilbar. Zunehmend sinkt die geistige Leistungsfähigkeit der Betroffenen, bis sie sich schließlich nicht mehr selbst versorgen können und pflegebedürftig werden. Weder hat die Wissenschaft die Ursachen der Alzheimer-Demenz vollständig verstanden noch gibt es eine Therapie, die an den Ursachen ansetzt.
Pulsstimulation?
Doch die schweizerische Storz Medical AG macht Menschen mit leichten und mittelschweren Alzheimer-Symptomen nun Hoffnung. Unter der Bezeichnung „Neurolith“ stellt sie seit drei Jahren ein Gerät zur transkraniellen Pulsstimulation (TPS) her. Weltweit entstanden bereits 55 Behandlungsstandorte – 42 allein im deutschsprachigen Raum –, deren Aussagen sich ähneln. So preist die Website des Hamburger „TPS-Kompetenzzentrums“ die „in klinischen Studien nachgewiesene … Stoßwellen-Therapiemethode“ an, deren „Ziel es ist, die kognitiven Fähigkeiten der Patient*innen zu regenerieren“ und die „die weltweit einzige Zulassung“ erhielt, um die „Alzheimer-Demenz wirksam, sicher und kausal zu behandeln”.
Wie TPS funktionieren soll
Bei TPS werden die Patient:innen mit gebündelten Ultraschallwellen durch die Schädeldecke behandelt. Zuvor aufgenommene Magnetresonanztomographie (MRT)-Bilder zeigen dem Arzt oder der Ärztin an, wo genau der Schallkopf des Geräts aufzusetzen ist.
Diese Ultraschall-Behandlung soll viele positive Effekte haben, zum Beispiel die Durchblutung der beschallten Hirnareale verbessern und die Verbindungen der Gehirnzellen untereinander stärken. Nichts davon ist jedoch experimentell nachgewiesen. Außerdem muss eine wirksame Alzheimer-Therapie einen praktischen Nutzen haben: Sie muss die geistigen Fähigkeiten Betroffener verbessern und dafür sorgen, dass sie ihren Alltag besser bewältigen können. Das ist für die TPS-Behandlung bisher nicht belegt.
Dünne Studienlage
Tatsächlich gibt es einige wenige klinische Studien zu TPS bei Alzheimer-Patient:innen: Alle stammen von derselben Forschungsgruppe und sind nicht besonders aussagekräftig. Denn den Anforderungen an hochwertige klinische Studien entsprechen sie nicht.2
Ihre wichtigsten Mankos: Sie beruhen auf einer identischen Gruppe von nur 35 Alzheimer-Patient:innen und umfassen keine Kontrollgruppe. Dadurch lässt sich nicht sicher sagen, ob tatsächlich die TPS-Therapie die Ursache für die beobachteten Effekte war. Außerdem wurden die Teilnehmenden nur über wenige Wochen behandelt.
Wenige Daten zur Sicherheit
Aus Tierversuchen und den bisherigen klinischen Studien gibt es keine Hinweise auf schwere Nebenwirkungen. Laut Anbieter berichteten nur wenige von „Hunderten seit 2018“ Behandelten über leichte Kopfschmerzen oder Stimmungsschwankungen nach der Ultrabeschallung. Große systematische Untersuchungen fehlen jedoch, gerade für die längerfristige Anwendung.
Werbung auf Hochtouren
Trotz der fehlenden Langzeitdaten empfehlen die meisten der 42 deutschen TPS-Anbieter „nach aktueller Studienlage (…) eine Behandlungsdauer von 24 bis 36 Monaten”. Nur dann blieben „diese Steigerungen auch nach über einem Jahr bestehen”. Die ersten sechs Therapieeinheiten kosten insgesamt 3.000 Euro, jede Folgebehandlung 300 Euro. Die Kosten für die Behandlung summieren sich so auf bis zu 10.200 Euro. Weil die Wirksamkeit der TPS nicht belegt ist, erstatten gesetzliche Krankenkassen diese Behandlungskosten nicht. Patient:innen müssen sie also aus eigener Tasche begleichen.
Übrigens: Nur sieben der TPS-Zentren im deutschsprachigen Raum befinden sich in einer Facharztpraxis für Neurologie oder Psychiatrie. Solche Ärztinnen und Ärzte verfügen grundsätzlich über das Fachwissen, eine Alzheimer-Demenz zu behandeln. Das ist bei den anderen Anbietern wohl eher nicht der Fall: Elf TPS-Praxen sind auf naturheilkundliche und homöopathische Verfahren spezialisiert. Ein Standort kommt ganz ohne ärztliches Personal aus: Dort bietet eine Ergotherapeutin TPS an. Die verbleibenden 23 Geräte stehen in Privatpraxen für Orthopädie, Chirurgie, Rheumatologie oder Sportmedizin.
Keine „zugelassene Methode“
Als weiteres Werbeargument erklärt der Geräte-Anbieter TPS zur „zugelassenen Behandlungsmethode für die Alzheimer-Erkrankung”. Anders als für Arzneimittel existiert für Medizinprodukte in der Europäischen Union aber gar kein Zulassungsverfahren durch eine unabhängige Behörde. Vor Marktzugang müssen die Anbieter ihre Geräte lediglich durch Prüfstellen wie den TÜV untersuchen lassen, um ein CE-Kennzeichen zu erhalten. Mit ihm erklären die Hersteller, dass ihr Produkt alle Anforderungen an die technische Sicherheit sowie den Gesundheits- und Umweltschutz erfüllt. Zwar sind für Medizinprodukte mittlerer Risikoklasse, zu denen auch der Neurolith gehört, für das CE-Kennzeichen in der Regel auch klinische Studien nötig. Allerdings liegt die Latte für den Nutzennachweis oft niedriger als bei Arzneimitteln.
Keine Haftung
Welche Rolle spielt bei all dem nun die Internetseite „Alzheimer Deutschland“? Dortige Textbeiträge berichten von einem „medizinischen Wunder“. Sie lesen sich wie Werbeaussagen, scheinbar untermauert von vermeintlichen Patientenerfahrungen und Links zu Presse- und TV-Beiträgen. Dabei lenken sie immer wieder auf nur ein Ziel – eine Liste aller TPS-Praxen zur direkten Kontaktaufnahme. Aufschlussreich ist der Haftungsausschluss der Internetseite: „Alzheimer-Deutschland.de übernimmt keine Haftung für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der TPS”.
Stand: 31. Oktober 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2022 / S.16