Bis ans Ende aller Tage?
Bioidentische Hormone in den Wechseljahren
„Das Heer der Rollator-fahrenden Alten wird immer größer!“1 Das ist der „schlimme Preis für ihre Hormonverweigerung“.1 So wirbt der Arzt Dr. med. Volker Rimkus für seine „neue Hormontherapie“ für Frauen, die „Methode RIMKUS®“.1 Das arznei-telegramm®, eine der Mutterzeitschriften von GPSP, hat untersucht, ob die Methode das hält, was versprochen wird.2
Rimkus setzt auf die als „bio-identisch“, „naturidentisch“ oder „natürlich“ bezeichneten Östrogen- bzw. Gestagen-Hormone Estradiol und Progesteron. Sie werden aus der Yamswurzel gewonnen, individuell auf der Basis regelmäßiger Blutspiegelmessungen dosiert und sollen im Gegensatz zu den herkömmlichen Hormonen angeblich nebenwirkungsfrei sein. Frauen können nach dieser Lesart bioidentische Hormone, falls gewünscht, „bis ans Ende aller Tage“ einnehmen.1,3
Vor der Jahrtausendwende wurden weibliche Hormone – Östrogen oder Kombination von Östrogen und Gestagen – noch nahezu routinemäßig in und nach den Wechseljahren verordnet. Sie sollten nicht nur lästige Beschwerden der Wechseljahre lindern, sondern angeblich auch Krankheiten verhüten und Leben verlängern können. Die Studien, auf denen diese Empfehlungen basierten, waren jedoch von dürftiger Qualität. Die erste große und aussagekräftige Studie war daher ein Schock: Sie offenbarte, dass die Hormone kein Jungbrunnen sind, sondern das Risiko von Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und anderen Erkrankungen erhöhen. Skepsis ist daher auch bei den als nahezu nebenwirkungsfrei propagierten so genannten bioidentischen Hormonen angebracht, zumal Dr. Rimkus betont, dass er „keine Doppelblindstudie“1 durchgeführt hat. Es handele sich bei jeder einzelnen Patientin um einen „so genannten individuellen Heilversuch“1. Das bedeutet anders ausgedrückt: jeweils um Behandlungen, die nicht durch geeignete aussagekräftige Studien abgesichert sind.
Einstufung irreführend
Bereits die Einstufung der bio-identischen Hormone als natürlich, im Gegensatz zu den üblicherweise verordneten, von Dr. Rimkus als „Östrogen-‚Imitationen’ der Pharmaindustrie“ bezeichneten Hormonen, ist irreführend. Denn bei der Gewinnung der so genannten natürlichen Hormone aus der Yamswurzel (GPSP 1/2011, S. 10) handelt es sich um ein synthetisches Verfahren. So erfordert die Herstellung von Estradiol aus dem in Yamswurzeln enthaltenen Hormongrundstoff Diosgenin mindestens 15 chemische Reaktionsschritte. Die so entstandenen Produkte sind zudem noch nicht einmal vollkommen identisch mit dem Hormon, das der Körper von Frauen selbst bildet. Diese Unterschiede haben allerdings für die Therapie keine Bedeutung.3
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA spricht Klartext: Sie stuft die Bezeichnung „bioidentische Hormonersatztherapie“ als Marketingbegriff ein,4 der Vorteile einer besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit suggeriert, ohne dass es dafür wissenschaftliche Belege gibt. Frauen wird dadurch ein Gefühl falscher Sicherheit vermittelt.4,5 Hinzu kommt, dass die Hormonpräparate nach der Methode RIMKUS® auf der Basis regelmäßiger Blutspiegelmessungen individuell dosiert und in speziellen Apotheken angefertigt werden. Ein Vorteil?
Solche Rezepturen dürfen ohne behördliche Zulassung verordnet und vertrieben werden. Ihnen liegt im Gegensatz zu Fertigpräparaten aber kein Beipackzettel bei, in dem über die Risiken der Hormone informiert wird, etwa über potenzielle unerwünschte Wirkungen, sowie über Anwendungsbeschränkungen – auch hinsichtlich der Therapiedauer –, inklusive Gegenanzeigen und Warnhinweisen.3
Nach einer von der nordamerikanischen Menopausegesellschaft initiierten Umfrage glauben 42% der Anwenderinnen solcher Rezepturen, dass „bioidentische“ Hormone sicherer seien als andere, weitere 35% schließen das zumindest nicht aus.6 Das arznei-telegramm® rät jedoch von derartigen Rezepturen dringend ab – auch weil es erklärtes Therapieziel von Dr. Rimkus und Vertretern seiner Methode ist, die Hormone auf Werte junger gesunder Frauen anzuheben, um die „hormonellen Defizite“ auszugleichen und das in den Wechseljahren zu beobachtende „Verblühen“ zu verhindern.
Hormonwerte, die in jungen Jahren normal sind, können jedoch – entgegen den unbelegten Theorien des Dr. Rimkus – in höheren Jahren Risiken bergen. Daten aus der oben beschriebenen Umfrage stützen diese Sorge. Unter 326 Anwenderinnen von individuellen Hormonrezepturen berichten vier über das Auftreten von Krebs der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) gegenüber keiner der 738 Frauen, die ein zugelassenes Hormonpräparat verwendet haben.
Selbst bezahlen
Anders als bei den Fertigarzneimitteln werden die Kosten für bioidentische Hormonrezepturen nach Dr. Rimkus von den Gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Für eine Monatspackung berechnen die beteiligten Apotheken 50 bis 70 Euro.2 Hinzu kommen Aufwendungen für die regelmäßigen Blutuntersuchungen, die alle drei bis sechs Monate vorgesehen sind und bei denen neben Estradiol und Progesteron auch weitere Blutwerte erhoben werden, etwa von Vitamin D und Schilddrüsenhormonen. Übliche Fertigarzneimittel mit Estradiol und Progesteron kosten zusammen etwa 20 Euro pro Monat.
Dr. Rimkus und andere Vertreter seiner Methode betreiben ein Geschäft mit der Angst. Wer „Hormonverweigerer“ ist, also nicht „den Mut hatte“, unter Führung von Dr. Rimkus eine Behandlung zu starten, drohe körperlich zu verblühen und sich in das „Heer der Rollator-fahrenden Alten“1 einreihen zu müssen. Statt Studien, die eine Abwägung von Nutzen und Schaden ermöglichen, gibt es nur Theorien des Dr. Rimkus.3 Anstelle dubioser Hormonrezepturen, deren Bezeichnung als „bioidentisch“ oder „natürlich“ ein falsches Gefühl von Sicherheit vermittelt, können bei ausgeprägten, die Lebensqualität beeinträchtigenden Wechseljahresbeschwerden zugelassene Fertigarzneimittel verwendet werden – in der niedrigsten wirksamen Dosis und für die kürzest mögliche Therapiedauer – also keinesfalls bis ans Ende aller Tage.
Stand: 2. Juli 2018 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2018 / S.10