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Fragwürdige Studien in Schwellenländern: Folgen auch in Deutschland

Die pharmazeutische Industrie bezieht Rohstoffe und fertige Arzneimittel zunehmend aus Ländern wie Indien oder China. Immer häufiger lassen Arzneimittelhersteller auch in Schwellenländern forschen und Studien durchführen (GPSP 5/2013, Seite 9), wie jetzt beim neuen Interferon Plegridy® für MS-Kranke. Derlei Auslagerung geht offenkundig auf Kosten der Qualität der Forschung und erschwert die Beurteilung des Nutzens so getesteter Arzneimittel.

Die Erprobung des kürzlich in den Handel gebrachten Multiple-Sklerose-Mittels Peginterferon beta-1a (Plegridy®) der Firma Biogen steht in der Kritik.1 Für die Zulassung genügte den Behörden in Europa und in den USA die Vorlage einer einzigen Studie, in der das Interferon mit einem Scheinmedikament ver­glichen wurde. Nur jeder neunte der beteiligten Patientinnen und Patienten stammte aus Studienzentren aus Westeuropa oder Nordamerika, 8 von 9 hingegen aus Osteuropa inklusive Russland (70%), aus Indien (11%) und – abgesehen von Neuseeland – aus weiteren Schwellenländern.1

Dass Studien in sogenannten Billigländern bei der Pharmaindustrie beliebt sind, hat einfache Gründe: Sie lassen sich dort einfacher durchführen, weil die Auflagen und die Kontrollen der Behörden lascher sind als hierzulande. Deshalb können die Untersuchungen rascher abgeschlossen werden.

Was den Firmen auch wichtig ist: Die Studien sind in Schwellenländern billiger, weil die Honorare für Prüfärzte und die Kosten der medizinischen Versorgung der Patienten im Vergleich zu Europa oder den USA erheblich niedriger sind.

Außerdem haben Studienteilnehmer in Schwellenländern insgesamt weniger Vorbehalte, an einer Studie teilzunehmen. Im Gegenteil: Angesichts der unzureichenden oder für viele nicht bezahlbaren Strukturen des Gesundheitswesens sind Studien dort für viele Kranke die einzige Möglichkeit, überhaupt medizinische Hilfe zu erhalten.2,3 Sie nehmen daher vieles in Kauf.

Das kann sogar dazu führen, dass Teilnehmer unerwünschte Wirkungen verschweigen, nur um nicht aus den Studien (und damit von der Behandlung) ausgeschlossen zu werden. Menschen in diesen Ländern vertrauen zudem häufig fast blind auf die Qualität der aus Industrienationen importierten Medizin und auf die behandelnden Ärzte und Ärztinnen. Aber viele Ärzte sind verständlicherweise anfällig für die Prüfhonorare, die oft ihr reguläres Einkommen um ein Vielfaches übersteigen. Das macht sie leichter korrumpierbar.

Es kam schon vor, dass sie Patientendaten oder unerwünschte Wirkungen verschweigen, um – im Sinne des Sponsors – gute, also geschönte, Studiendaten abzuliefern. Sie wollen ja im Studiengeschäft bleiben. Es kann sogar vorkommen, dass Ärzte Patienten in Studien aufnehmen, ohne diese darüber zu informieren. Und Ethikkommissionen, die im Prinzip das Studiendesign kontrollieren, damit Studienteilnehmer nicht ausgenutzt und gefährdet werden, sind oft nicht unabhängig – beispielsweise in Personalunion mit Studien­leiter und Studienärzten – oder sie existieren auch schon mal nur auf dem Papier.2,3

All das hat Konsequenzen auch für uns in Mitteleuropa. Auf Studien, die weitgehend in Schwellenländern durchgeführt werden, ist nicht unbedingt Verlass, und sie sind mit besonderer Vorsicht zu betrachten. Denn nur wenn die Prüfpläne sorgfältig eingehalten werden, können Nutzen und Schaden der geprüften Arznei­therapie korrekt ermittelt werden.

Die Zulassungsbehörden in Eu­ropa und den USA sind daher bemüht, Studienzentren in Schwellenländern zu kontrollieren. Für eine systematische Kontrolle mangelt es aber an Geld und an kompetenten Kontrolleuren. So inspiziert selbst die größte Arzneimittelbehörde der Welt, die US-amerikanische FDA, nur stichprobenartig einen kleinen Teil der Studienzentren (1 %), und dies wiederum hauptsächlich in den USA.

Der Anteil der von der europäischen Behörde überprüften Zentren war in der Vergangenheit noch geringer (0,5 %).1 Die Chance, dass bei solchen Inspektionen tatsächlich Missstände aufgedeckt werden, ist minimal.

Immerhin sind sich die Behörden der Probleme durch die Verlagerung klinischer Prüfungen in Schwellenländer und deren Folgen bewusst. So beklagt Karl Broich, der neue Leiter des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, in einem Interview den Mangel an Inspektoren für die unabhängige Kontrolle vor Ort.4

Die erste und einfachste Konsequenz wäre Transparenz: Behörden sollten bei der Zulassung von Arzneimitteln offenlegen müssen, in welchen Ländern sie getestet wurden und an jeweils wie vielen Menschen.

GPSP fordert, dass Studien ausschließlich in Ländern durchgeführt werden, die Patientenrechte nach hiesigen Standards gewährleisten. Und Pharmafirmen stehen in der Pflicht: Sie sollten nachweisen müssen, dass für ihre Studien die hiesigen ethischen Standards eingehalten werden. Können die Pharmahersteller dies nicht belegen, sollten die Behörden eine Zulassung auf Basis solcher Daten nicht genehmigen. Keine Ethik – keine neue Pille. Von einer solchen Regelung sind wir allerdings noch meilenweit entfernt.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2014 / S.22