Wem nutzen die neueren Cholesterin-Senker?
Welchen Nutzen Wirkstoffe wie Evolocumab oder Ezetimib haben, wird seit Langem kontrovers diskutiert. Eine neue Analyse fasst die bekannten Daten zusammen.
Bei einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird häufig ein Cholesterin-Senker verordnet. Allerdings ist das nicht automatisch bei erhöhtem LDL-Cholesterin nötig. Sinnvoll ist es, mit Arzt oder Ärztin das eigene Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall zu besprechen und dann über die Behandlung mit Medikamenten zu entscheiden.
Mittel der ersten Wahl ist dann in der Regel ein Wirkstoff aus der Gruppe der Statine. In den letzten Jahren sind jedoch auch einige andere Cholesterin-Senker auf den Markt gekommen, die die Anbieter teilweise sehr aggressiv bei Ärztinnen und Ärzten sowie bei Betroffenen bewerben: zusätzlich zu Statinen, wenn Cholesterin-Zielwerte nicht erreicht werden. Oder als Alternative, wenn Patient:innen Statine nicht vertragen oder sie aus gesundheitlichen Gründen nicht einnehmen können. Zu diesen neueren Cholesterin-Senkern gehören beispielsweise Evolocumab, Alirocumab, Ezetimib oder Inclisiran. Nur Ezetimib steht als Tablette zur Verfügung, alle anderen müssen gespritzt werden.
Wer profitiert?
Eine neue Übersichtsarbeit hat jetzt zusammengefasst, welcher Nutzen von diesen Medikamenten zu erwarten ist – je nachdem, wie hoch das Herz-Kreislauf-Risiko ist.1 Darüber berichtet DER ARZNEIMITTELBRIEF.2 Ein sehr niedriges Ausgangsrisiko hätte etwa eine Patientin, bei der nur der Cholesterinspiegel mäßig erhöht ist, aber keine wesentlichen anderen Risikofaktoren für einen Herzinfarkt vorliegen. Ein sehr hohes Ausgangsrisiko hätte beispielsweise ein Patient, der bereits einen Herzinfarkt hinter sich hat.
Die Übersichtsarbeit wertet dabei die bekannten Daten neu aus und stellt neue Berechnungen an. Dabei wird unterschieden, ob die Cholesterin-Senker zusätzlich zu Statinen gegeben oder allein eingesetzt werden, wenn Patient:innen Statine nicht vertragen.
Nutzen: Eingeschränkt und eher klein
Bei Menschen mit einem niedrigen oder mittleren Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall haben die neueren Cholesterin-Senker in dieser Auswertung keinen nachgewiesenen Nutzen – egal, ob zusätzlich zu einem Statin oder stattdessen.
Für Menschen mit hohem oder sehr hohem Risiko ist der Nutzen von neueren Blutfettsenkern zusätzlich zu Statinen oder als Alternative bei einer Statin-Unverträglichkeit, falls überhaupt, eher klein: Todesfälle können die Mittel auch bei hohem oder sehr hohem Risiko nicht verhindern. Evolocumab und Alirocumab senken möglicherweise in geringem Ausmaß nicht-tödliche Schlaganfälle und Herzinfarkte. Bei Ezetimib finden sich in der aktuellen Auswertung solche Hinweise nur bei nicht-tödlichen Schlaganfällen (siehe Tabelle).
| Wirkstoff | Verhinderte nicht-tödliche Herzinfarkte | Verhinderte nicht-tödliche Schlaganfälle |
| Evolocumab und Alirocumab | etwas mehr als 1 von 100 | etwas mehr als 1 von 100 |
| Ezetimib | nicht in relevantem Ausmaß | bis zu 1 von 100 |
Wenn Statine nicht vertragen werden
Bei Menschen, die Statine nicht vertragen, liegt der berechnete Nutzen in einer ähnlichen Größenordnung. Allerdings sind die Berechnungen in der Übersichtsarbeit nicht ganz nachvollziehbar, wie etwa das arznei-telegramm® bemängelt,3 und sie beruhen auf Auswertungen zu wesentlich weniger Patient:innen. Diese Daten sind also deutlich unsicherer.
Wenn es während der Einnahme von Statinen zu Problemen wie Muskelschmerzen kommt, ist ein Wechsel auf einen der neueren Cholesterin-Senker deshalb nicht automatisch die bessere Alternative. Zumal solche Beschwerden nicht immer tatsächlich ursächlich auf das Statin zurückzuführen sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass vermutlich auch Nocebo-Effekte eine wichtige Rolle spielen, also die Erwartung, dass Nebenwirkungen auftreten.
Was zu beachten ist
Allerdings sind die Ergebnisse der Übersichtsarbeit auch mit etwas Vorsicht zu betrachten:
Die Angaben zum Nutzen sind als Größenordnungen zu verstehen, nicht als exakte Zahlen, da sie größtenteils auf Modellierungen beruhen. Mit dieser Einschränkung bestätigt die neue Auswertung in der Tendenz die bisherigen Erkenntnisse aus den bekannten Einzelstudien.
Allerdings überträgt die neue Auswertung die Ergebnisse auch auf Gruppen von Patient:innen, die in den Einzelstudien nicht vertreten waren, und auf einen Zeitraum, der in einigen Einzelstudien nicht untersucht wurde. So wurde der Nutzen von Ezetimib lediglich an Patient:innen untersucht, die bereits einen Herzinfarkt hinter sich hatten, nicht aber an Menschen, bei denen lediglich ein sehr hohes Risiko dafür besteht. In den Einzelstudien wurden die Patient:innen zwischen zwei und sieben Jahren beobachtet, die Übersichtsarbeit rechnet den Nutzen einheitlich auf einen Zeitraum von fünf Jahren um. Das bringt etwas Unschärfe in die Zahlen.
Die Ergebnisse für Evolocumab, Alirocumab und Inclisiran werden in der Auswertung zusammengefasst. Ob sich die Ergebnisse aber tatsächlich auf Inclisiran übertragen lassen, ist fraglich. Für diesen Wirkstoff gibt es bisher keine Studie, die untersucht, ob er Herzinfarkte oder Schlaganfälle verhindert.
Was die frühe Nutzenbewertung sagt
In der frühen Nutzenbewertung wurde übrigens keinem der neueren Cholesterin-Senker ein Zusatznutzen zugesprochen: Bei Inclisiran fehlen Daten zu Aspekten, die für Patient:innen wirklich wichtig sind (siehe oben). Bei Evolocumab und Alirocumab bemängelten die Gutachten unter anderem, dass die Vergleichsbehandlung mit Statinen nicht in allen Studien optimal war. Das kann das Ergebnis zugunsten des neueren Mittels verzerren. Teilweise gab es auch gar keine besseren Ergebnisse als mit der Standardbehandlung.
Fazit
Insgesamt ist der Nutzen der neueren Cholesterin-Senker zusätzlich zu einer Statin-Behandlung – falls er überhaupt vorhanden ist – eher klein und sie kommen nur für wenige Betroffene infrage. Deshalb ist es wichtig, sich sorgfältig mit Arzt oder Ärztin zu beraten und sich ein Bild zu machen, in welcher Größenordnung überhaupt ein Nutzen vorliegt und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind. Wegen des hohen Preises bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen für die Behandlung mit Evolocumab, Inclisiran oder Alirocumab nur in eng umschriebenen Ausnahmefällen.
Stand: 26. Oktober 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2022 / S.10