Was uns die Medien auf dem Teller servieren
Berichterstattung über Ernährung unter der Lupe
Seit einem Jahr bewertet im Internet der „Medien-Doktor Ernährung“ die Qualität von Online-Artikeln über Lebensmittel, Diäten und Ernährungsformen. Wie schon beim „Medien-Doktor Gesundheit“ hoffen die Macher:innen, damit die journalistische Berichterstattung zu verbessern oder zumindest aufzuzeigen, wo mögliche Fallstricke liegen. Auch für die Allgemeinheit sind diese Bewertungen sehr hilfreich. Wir befragten dazu Marcus Anhäuser, den leitenden Redakteur des „Medien-Doktor Ernährung“.
GPSP: Was können Verbraucher:innen von solchen Bewertungen lernen?
Kurz gesagt: einen eigenen kritischen Blick auf die Berichterstattung über Lebensmittel, Diäten und Ernährungsformen. Wir stellen ja jede Bewertung eines ernährungsjournalistischen Beitrags auf unserer Webseite online und erklären Kriterium für Kriterium, was gut oder schlecht ist an einem Artikel. Wenn man sich dann ein paar angesehen hat, gute mit 4 oder 5 Sternen oder die schlechten mit 2, 1 oder gar 0 Sternen, dann entwickelt man mit der Zeit einerseits ein Gefühl dafür, was gute von schlechter Berichterstattung unterscheidet. Man kann dann aber auch – dank der konkreten Kriterien – einen x-beliebigen Beitrag gezielt auf bestimmte Aspekte abklopfen. Zum Beispiel, ob das, was über eine Diät oder eine Ernährungsform behauptet wird, auch durch aussagekräftige Quellen belegt ist. Oder durch unabhängige Expert:innen eingeordnet wird. Ist das nicht der Fall, sollten die Alarmglocken läuten.
Gibt es konkrete Alarmsignale für schlechte Berichterstattung?
Ja, die gibt es. Wir haben bisher rund zwei Dutzend zufällig ausgesuchte Artikel bewertet, und es fällt jetzt schon auf, wie quellenarm diese Art von Berichterstattung sein kann. Auch eine Einordnung durch Expert:innen haben wir bisher selten gefunden. Es wird sehr oft einfach etwas behauptet, zum Beispiel, dass man mit Zwiebeln gezielt Bauchfett „schmelzen“ lassen könne. Woher die Autorin das weiß, erfährt man leider nicht. Dafür gibt’s einen Link zu Amazon – zu einem Zwiebelschäler! Dass es sich um einen Verkaufslink handelt, wird im Artikel nicht transparent gemacht.
Selbst wenn mal auf eine Studie verwiesen wird, kann es sein, dass diese viele Jahre alt ist, was ebenfalls nicht erklärt wird, sondern es wird so getan, als ob es sich um eine aktuelle Untersuchung handelt. Teilweise rührt das daher, dass ältere Artikel gerne online recycelt werden, worauf auch nicht immer hingewiesen wird.
Und wenn in einem Artikel über positive Effekte berichtet wird, etwa den Gewichtsverlust einer Diät oder das Absenken bestimmter Gesundheitsrisiken durch eine Ernährungsform, dann finden sich leider selten konkrete, absolute Zahlen.
Einen Absatz über Risiken und Nebenwirkungen sollte man erwarten können, wenn es um gesundheitliche Effekte geht, auch wenn sie bei Lebensmitteln auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinen. Aber gerade bei bestimmten einseitigen Ernährungsformen könnte dies ja eine Rolle spielen. Und auch Blähungen und Allergien können sehr unangenehme Begleiterscheinungen sein, die man ansprechen sollte.
Machen es sich die Medienschaffenden manchmal zu einfach?
Ja, den Eindruck kann man bekommen, vermutlich, weil Ernährungsthemen eher als leichte Themen wahrgenommen werden, anders als etwa Medizinthemen über Medikamente oder Therapien. Aber mit oberflächlicher, unbelegter Berichterstattung tragen Medien auch zur Verwirrung bei, die viele Menschen inzwischen mit dem Thema Ernährung verbinden.
Wahrscheinlich hängt dies aber auch mit schrumpfenden Ressourcen zusammen, die im Online-Journalismus noch knapper sind als im Print. Wenn es in der Redaktion niemanden gibt, der wissenschaftliche Studien lesen und verstehen kann, wird es einfach schwierig, diese einzuschätzen. Wir wissen aber auch, dass Autor:innen gar nicht wissen, wo sie Expertenrat herbekommen. Wir haben daher für einzelne Redaktionen zum Beispiel eine Expertenliste unseres Forschungsverbunds nutricard zusammengestellt.2
Bei manchen Medien, vor allem aus dem Lifestyle-Bereich, hat man auch gar nicht den Eindruck, als ob diese ihre Leserinnen und Leser wirklich gut informieren wollen, sondern es scheint schlicht und einfach um möglichst viele Klicks zu gehen. Die Artikel sind für Suchmaschinen optimiert und teilweise sehr nervtötend zu lesen, weil sich vieles wiederholt oder wie in einem Krimi versucht wird, einen Spannungsbogen aufzubauen wie: „Wer dieses eine Lebensmittel isst, erhöht sein Herzinfarktrisiko enorm.“ Dann erfährt man erst zur Mitte des Artikels, um welches Lebensmittel es sich handelt. Das ist die Holzhammermethode, um Leserinnen und Leser auf der Seite zu halten, hat aber nichts mit seriösem Journalismus zu tun – zumal oft maßlos übertrieben wird.
Und wie sieht es in den Artikeln mit Interessenkonflikten aus?
Wir fragen das in einem eigenen Kriterium ab. Leider konnten wir es nicht in jedem Fall anwenden, weil eben gar nicht erklärt wird, auf welche Belege oder Studien sich ein Bericht bezieht, oder weil gar kein Experte oder eine Expertin zitiert wurde. Auf der anderen Seite gibt es dann Artikel, bei denen ein „Experte“ für Nahrungsergänzungsmittel positiv über die Supplemente seiner eigenen Firma berichten darf. Oder eine Studie, nach der Nudeln gar nicht dick machen, die von einem italienischen Nudelhersteller finanziert wurde.
Neben diesen Interessenkonflikten in der Wissenschaft haben auch einige der Online-Medien selbst damit zu kämpfen: Weil sie nicht transparent machen, wenn sie etwa Verkaufslinks in Artikel einbauen oder Produkte vorstellen, über die kein einziges kritisches Wort zu finden ist und man sich schon fragt, ob es sich nicht um verdeckte Werbung handelt. Mit solchen Artikeln macht sich Journalismus überflüssig, das war schon immer so, aber inzwischen gibt es Influencer auf Instagram, Foodblogger und Youtuber, die das genauso so gut können und nicht selten mehr Menschen erreichen. Wenn journalistische Medien ihr Dasein weiterhin rechtfertigen wollen, müssen sie solche Dinge endlich abstellen.
Stand: 30. April 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2021 / S.21