Umstrittene Empfehlung
Mit der E-Zigarette zum Nichtraucher?
So alt wie das Thema Rauchen sind auch die Diskussionen über die beste Methode, davon wieder loszukommen. Neben Nikotinpflastern und -kaugummis werden seit einiger Zeit auch E-Zigaretten für den Rauchstopp beworben. Können sie dabei tatsächlich helfen?
Sind E-Zigaretten „gesünder“ als normale Tabakzigaretten? Dieses Argument führen die Befürworter von E-Zigaretten immer wieder an. Dann – so die Logik der Befürworter weiter – wäre es doch gut, würden alle, die Tabak rauchen, im Sinne einer Schadensbegrenzung zumindest auf E-Zigaretten umsteigen. Und möglicherweise fiele dann auch der Schritt zum Nichtrauchen nicht mehr so schwer. Aber stimmt das auch? Wir haben uns die Datenlage einmal genauer angesehen.
Langfristige Risiken unbekannt
Richtig ist: Bei normalen Zigaretten wird der Tabak verbrannt, bei E-Zigaretten wird die nikotinhaltige Lösung verdampft. Aus Untersuchungen am Dampf von E-Zigaretten weiß man, dass deshalb in E-Zigaretten Verbrennungsprodukte wie Teer nicht vorkommen, die im Tabakrauch enthalten sind und zum Beispiel für das erhöhte Lungenkrebsrisiko verantwortlich gemacht werden. Auch das giftige Kohlenmonoxid entsteht nicht.1 Das ändert aber nichts daran, dass Nikotin eine schädliche Substanz ist, die abhängig macht.
Zu den langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von E-Zigaretten gibt es noch viele Fragezeichen. So fehlen etwa Informationen, welche Probleme es mit sich bringt, vermeintlich harmlose Substanzen wie Propylenglykol und Glycerin auf lange Sicht zu inhalieren. Im Gegensatz zu Tabakzigaretten, deren Risiken seit Mitte des 20. Jahrhunderts systematisch untersucht werden, gibt es E-Zigaretten erst seit knapp 15 Jahren.1
Weg von der Zigarette?
Können Menschen sich zumindest das Tabakrauchen mit der E-Zigarette abgewöhnen? Zu dieser Frage gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Studien, allerdings nur einige wenige, bei denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip auf die Vergleichsgruppen zugeteilt wurden.2,3 4 5
Allerdings waren die Studien meist nicht gut gemacht, einige verwendeten zudem veraltete Modelle von E-Zigaretten mit niedrigem Nikotingehalt und kurzer Akkulaufzeit, die Nikotin langsamer abgeben als die jetzt verbreiteten neueren Modelle. Außerdem waren die Studien sehr unterschiedlich angelegt: Einige verglichen Nikotin-E-Zigaretten mit nikotinfreien E-Zigaretten oder Nikotinersatzprodukten, teilweise mit oder ohne zusätzliche Ausstiegshilfen wie psychologischer Beratung. Auch gab es teils finanzielle Anreize für den Rauchausstieg.
Insgesamt nur wenige
In den meisten Studien fiel denjenigen, die nikotinhaltige E-Zigaretten benutzten, der Ausstieg etwas leichter als denjenigen mit wirkstofffreien E-Zigaretten oder Nikotinpflastern. Allerdings ist der Effekt insgesamt ziemlich klein: Der Anteil derjenigen, die es nach einem halben bis einem Jahr schaffen, ganz von Tabakzigaretten wegzukommen, liegt in der Regel im einstelligen Prozentbereich. Anders ausgedrückt: Selbst wenn Raucher E-Zigaretten zur Verfügung haben, schaffen nur die wenigsten den Rauchausstieg. Und ob die Teilnehmenden es schafften, vom Nikotin ganz wegzukommen, wurde in den Studien nicht systematisch untersucht.
Unterstützung wirkt
Einen höheren Abstinenzerfolg gab es nur bei einer Untersuchung,4 bei der die knapp 900 Teilnehmenden intensive psychologische Betreuung erhielten: 18 Prozent der Raucher, die in dieser Entwöhnung auf die E-Zigarette setzten, waren auch nach einem Jahr noch Nichtraucher. Das schafften von den Studienteilnehmenden, die auf herkömmliche Nikotinpflaster oder -kaugummis zum Entzug setzten, nur knapp zehn Prozent. Das spricht dafür, dass die Rahmenbedingungen des Entzugs eine wichtige Rolle spielen. Aber auch hier schafften mehr als 80 Prozent keinen Tabakausstieg und wie groß der Erfolg über ein Jahr hinaus ist, bleibt unklar.
Möglicherweise erschwert es die E-Zigarette aber, vom Nikotin ganz loszukommen: 80 Prozent der Menschen, die nach einem Jahr keinen Tabak mehr rauchten, nutzten weiterhin die E-Zigarette. Im Gegensatz dazu mussten nur neun Prozent der Menschen, die sich mit Nikotinersatzprodukten das Rauchen abgewöhnt hatten, auf diese Mittel zurückgreifen.
Unerwünschte Effekte
Im Vergleich zu Nikotinpflastern oder -kaugummis berichteten die E-Zigaretten-Raucher in den Studien häufiger über Rachen- oder Mundreizungen.2,4 Ähnlich häufig war Übelkeit, die bei jeweils rund einem Drittel der Teilnehmenden auftrat.4
Kontroverse Bewertungen
E-Zigaretten scheinen also gegenüber anderen Raucherentwöhnungsmitteln einigen wenigen Rauchern mehr den Schritt weg von der Tabakzigarette zu erleichtern, sorgen aber nicht für deutliche Erfolge beim Rauchstopp. Es entstehen mit der E-Zigarette keine Verbrennungsprodukte wie bei der Tabakzigarette, deren Schädlichkeit bekannt sind. Ob E-Zigaretten beim nikotinfreien Leben helfen und welche langfristigen unerwünschten Effekte durch ihre Inhaltsstoffe auftreten, ist bislang aber unklar. Deshalb wundert es nicht, dass medizinische Fachleute zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. In England etwa wird der Einsatz von E-Zigaretten zum Rauchstopp von Public Health England massiv unterstützt,6 deutsche7 und europäische8 medizinische Fachgesellschaften sprechen sich dagegen aus.
Die Gewinner
Klar ist dagegen, wer von der Kontroverse profitiert: „Wir sind zu 100 Prozent von unserer Vision einer rauchfreien Zukunft überzeugt und wollen sie Realität werden lassen“, erklärt etwa der Tabakkonzern Philip Morris. Dahinter steckt allerdings keine Kehrtwende, sondern eine neue Vermarktungsstrategie. Denn seit Vertrieb, Werbung und Konsum der herkömmlichen Tabakzigaretten weltweit nahezu flächendeckend restriktiv reguliert werden, haben sich die großen Tabakkonzerne einen neuen Markt erschlossen: Sie werben für die vermeintlich „gesündere“ Alternative zur Zigarette und sind bereits seit längerem in den Vertrieb von E-Zigaretten und Tabakerhitzern eingestiegen.
Stand: 29. April 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2020 / S.12