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Thyroxin

Wenn es an Schilddrüsenhormon fehlt

Eigentlich stellen wir hier altbewährte Wirkstoffe vor, an die wir als Alternative zu neueren Medikamenten erinnern wollen – weil Neues nicht automatisch besser ist. Diesmal ist es anders: Zu Thyroxin gibt es keine Alternative, und es ist unverzichtbar.

Das Hormon Thyroxin ist für die Regulation wichtiger Vorgänge im Stoffwechsel, Kreislauf- und Nervensystem mitverantwortlich. Es wird in der Schilddrüse gebildet. Ist der Hormonspiegel im Blut zu hoch, handelt es sich um eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose). Ist der Spiegel zu niedrig, ist es eine Unterfunktion (Hypothyreose).

Als Medikament wird der rezeptpflichtige Wirkstoff Levothyroxin – kurz L-Thyroxin – eingesetzt. Eine Tagesdosis kostet in Deutschland nur rund 23 Cent. Da über eine Milliarde Dosen verordnet werden, beträgt das Umsatzvolumen ca. 280 Mio. €.1

Raffinierter Regelkreis

Wie viel Schilddrüsenhormon gebildet wird und im Umlauf ist, hängt von dem „Steuerhormon“ TSH ab, das in der Hirnanhang­drüse (Hypophyse) gebildet wird. Die Steuerung erfolgt über einen Rückkopplungs-Regelkreis: Wenn in der Hypophyse mit dem Blutstrom zu wenig Schilddrüsenhormon ankommt, wird die Produktion von TSH hochgefahren. Mehr TSH wird mit dem Blutstrom zur Schilddrüse transportiert und regt dort die Produktion der Schilddrüsenhormone an. Kommt hingegen zu viel Schilddrüsenhormon in der Hypophyse an, wird die Produktion des TSH – und damit auch der Schilddrüsenhormone – gedrosselt. Auf diese Weise bleibt deren Blutspiegel weitgehend konstant und kann zudem bei Bedarf rasch angepasst werden.

Zu wenig Thyroxin

Im Säuglingsalter führt eine Unterfunktion zu schweren Entwicklungsstörungen. Bei Erwachsenen kommt es – oft erst allmählich – zu trockener Haut, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, körperlicher Schwäche sowie Müdigkeit. Daneben gibt es weitere für die Erkrankung eher unspezifische Symptome.

Mit den Jahren lässt die Schilddrüsenfunktion oft nach. Gerade bei älteren Menschen ähneln die Symptome allgemein verbreiteten Altersbeschwerden und können daher übersehen oder falsch gedeutet werden. Auch Depressionen können durch den Mangel ausgelöst oder verschlimmert werden.

Wenn jüngere Menschen an einer Hypothyreose erkranken, liegt das oft an körpereigenen Antikörpern. Sie zerstören allmählich das Schilddrüsengewebe. Dann spricht man von einer Autoimmunerkrankung (Auto­immunthyreoiditis), auch als Hashimoto-Thyreoiditis bekannt.

Manchmal führen medizinische Eingriffe wie Operationen oder Bestrahlungen von krankem Schilddrüsengewebe zu einem teilweisen oder völligen Verlust der Schilddrüsenfunktion. Eine Unterfunktion entsteht auch, wenn der beschriebene TSH-Regelkreis gestört ist, oder wenn Jod fehlt.

Wer ist betroffen?

Eine Schilddrüsenunterfunktion soll in Deutschland bei bis um die 5% der Bevölkerung bestehen,2 wobei über 50-Jährige deutlich stärker betroffen sind als Jüngere. Wie viele eine Behandlung benötigen, ist nicht genau untersucht, geschätzt wird etwa 1 von 100 Personen. Übrigens: eine Rolle spielt auch der Wohnort. In Süddeutschland, einem Jodmangel­gebiet, gibt es mehr Schilddrüsen-Stoffwechselstörungen, darunter auch Hypothyreosen.

Was wird gemessen?

Der Schilddrüsenhormonspiegel schwankt stark, und zwar je nach Tageszeit, wechselndem Bedarf usw. Hingegen sind die Spiegel des übergeordneten Steuerhormons TSH sehr stabil.
Daher wird die individuelle Situation anhand des TSH-Wertes überprüft. Das geht rasch, ist zuverlässig und kostengünstig.

Der mittlere TSH-Wert liegt bei etwa 1,5 mU/l, mit einer normalen Spannweite zwischen etwa 0,5-2,5 mU/l. Bei niedrigeren Werten denken Ärzte am ehesten an eine Schilddrüsenüberfunktion. Höhere Werte sprechen für eine Unterfunktion bzw. für eine Unterdosierung des Schilddrüsenpräparats. Ist eine Unterfunktion nachgewiesen, verordnen Ärzte Thyroxin. Neben dieser Hormonersatztherapie (Substitution) muss nach den Ursachen gefahndet werden.

Nützlicher Eingriff in den Regelkreis

Die Thyroxin-Dosis zur Behandlung einer Hypothyreose liegt meistens im Bereich von 75-125 Mikrogramm pro Tag, jedoch können je nach Körpergewicht und Ausmaß des Mangels auch niedrigere oder höhere Dosen notwendig sein.

Das Medikament ersetzt nicht nur fehlendes Thyroxin bei einer Unterfunktion (Substitutionstherapie), sondern wird manchmal auch als Wachstumsbremse (Suppressionstherapie) eingesetzt, etwa wenn die gesamte Schilddrüse oder einzelne Bereiche (Kropf/Struma, Schilddrüsenknoten) stark wachsen. Ein Sonderfall ist schließlich Schilddrüsenkrebs, wo Thyroxin gleichzeitig zur Substitutionstherapie und Suppressionstherapie dient.

Thyroxin wird morgens etwa eine halbe Stunde vor dem Frühstück eingenommen, um einen guten und konstanten Wirkspiegel zu erzielen.

Abstand zu Calcium & Co

Wer bestimmte wie etwa aluminium-, calcium- oder eisenhaltige Medikamente einnimmt, sollte mit diesen etwa zwei Stunden warten, weil solche Metalle die Aufnahme des Thyroxins beeinträchtigen. Dasselbe gilt auch für Leitungswasser in Regionen mit hoher Wasserhärte sowie Mineralwasser mit hohem Calciumgehalt.

Wenn man als Patient oder Patientin erst einmal gut eingestellt ist, ist es nicht empfehlenswert das Schilddrüsenpräparat zu wechseln. Denn das könnte zu Änderungen im Wirkspiegel führen.3 Deshalb sollten Patienten in der Apotheke genau das Präparat verlangen, das auf dem Rezept steht.

In manchen Situationen wird nicht nur L-Thyroxin, sondern auch Jod verordnet. Das ist beispielsweise erforderlich, wenn ein Kropf entstanden ist oder zu wachsen beginnt, aber auch, wenn nach einer einseitigen Schilddrüsenoperation der andere Schilddrüsenlappen unterstützt werden soll. L-Thyroxin und Jod kann man einzeln oder auch als ein Kombinationspräparat einnehmen.

Vor Beginn einer medikamentösen Schilddrüsenbehandlung sollten Betroffene wenigstens einmal eine endokrinologische Praxis aufsuchen, wo die Ärzte auf Hormonstörungen spezialisiert sind (Endokrinologen). Ansonsten kann der Allgemeinmediziner oder Internist die Therapie begleiten.

Wie es weiter geht

Um die Thyroxin-Medikation zu kontrollieren, wird von Zeit zu Zeit der TSH-Wert bestimmt. Er sollte etwa vier bis sechs Wochen nach Beginn der Behandlung – sowie nach einer Dosisanpassung – überprüft werden. Später in der Regel alle 6 bis 12 Monate.

Bei einer Reihe von Krankheiten oder wenn ein Patient bestimmte Arzneimittel regelmäßig einnimmt, kann der Thyroxinbedarf erhöht sein. Das gilt etwa für Magen-Darm-Erkrankungen, einige Herzmedikamente oder Mittel gegen Epilepsie. Unter diesen Umständen sollten Kontrollabstände kürzer als üblich sein. Für schwangere Frauen mit Schilddrüsenproblemen sind besonders häufige Kontrollen unerlässlich.

Nicht vorzeitig verwenden

Derzeit ist Konsens, dass bei Schilddrüsenunterfunktion ein TSH-Wert über 10 mU/l Thyroxin eingenommen werden sollte.4 Wo genau im „Graubereich“ von 4-10 mU/l eine Behandlung ratsam ist, ist seit Jahren strittig.5,6,7 Allerdings kommt es seit etwa zehn Jahren zu immer mehr „Diagnosen“ von Unterfunktion alleine aufgrund der Laborwerte. Das führt zu einer frühzeitigeren Verordnung von Schilddrüsenhormonen. Eine Behandlung ist bei Laborwerten im Graubereich wegen der unerwünschten Wirkungen jedoch nur ratsam, wenn Beschwerden vorhanden sind.8

Ein Therapieversuch mit L-Thyroxin bei leicht erhöhten TSH-Werten (2,5-4 mU/l) kommt nur in Frage, wenn jemand deutliche Anzeichen einer Unterfunktion hat, eine Depression besteht oder auch dann, wenn schon länger ein unerfüllter Kinderwunsch vorliegt.

Wenn sich im Laufe einer Hashimoto-Erkrankung eine Unterfunktion der Schilddrüse entwickelt, kann ebenfalls ein früher Einsatz von L-Thyroxin sinnvoll sein.

Unerwünschte Wirkungen

Einerseits lässt L-Thyroxin die Beschwerden einer Unterfunktion abklingen. Andererseits kommt es bei 10 bis 30 von 100 Behandelten zu einer Überdosierung des Hormons. Bei einem Teil wird dabei ein gefährlicher Schwellenbereich (ca. 0,1 mU/l) des TSH unterschritten. Es kommt zu Symptomen einer Schilddrüsenüberfunktion und manchmal zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen. Insbesondere ältere Menschen erleiden häufiger einen Knochenbruch, vor allem wenn sie längere Zeit zu hohe Dosen einnehmen.9

Resümee

L-Thyroxin ist ein unverzichtbares Medikament bei Schilddrüsenkrankheiten. Meist handelt es sich um eine Unterfunktion, die Hausärzte entweder bei der Abklärung der Ursache bestimmter Beschwerden oder im Rahmen einer Routineuntersuchung entdecken. Ist der ausschlaggebende TSH-Wert nur leicht erhöht, müssen Arzt und Patient zwischen dem potenziellen Nutzen einer Thyroxin-Behandlung und ihrem möglichen Schaden abwägen. Zwar haben Ärzte eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, und Patienten sollten Kontrolluntersuchungen konsequent wahrnehmen, aber insgesamt ist L-Thyroxin bei richtiger Indikation und passender Dosis ein hilfreiches und gut verträgliches Medikament.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2015 / S.10