Resilienz
Das digitale Wörterbuch der Rezensentin hat wieder einmal dazugelernt: Nach „Bipolar“, „Burnout“ und „Asperger“ kam kürzlich als psychologischer Fachterminus die „Resilienz“ dazu. Ein Klick mit der Maustaste auf „Hinzufügen zum Wörterbuch“ – und fertig.
Aber, was meint dieser Begriff, über den Christina Berndt, die zäh recherchierende Wissenschaftsredakteurin1 der Süddeutschen Zeitung, ein ganzes Buch geschrieben hat? Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Resilienz, die sich von dem lateinischen ‚resilire‘ ableitet und mit dem deutschen ‚abprallen‘ vielleicht noch am treffendsten zu übersetzen ist?
Zunächst einmal, und das hat etwas Gutes, geht es hier nicht um eine Krankheit, sondern um psychische Stabilität – um die Frage, warum etwa Misserfolge an dem einen abprallen und leidvolle Erlebnisse ihn nicht dauerhaft belasten, während der andere daran zu zerbrechen droht. Was hat der eine, der es leichter nimmt, für ein Glück? Was kann der andere vielleicht von ihm lernen?
Christina Berndt findet viele passende Worte, um anhand aktueller Studien zu erklären, was Resilienz ist und welche Faktoren die psychische Widerstandskraft beeinflussen. Um das sperrige Fremdwort griffiger zu machen, spricht die Autorin auch von der „Seelenstärke“ eines Menschen, von den „Stehaufmännchen“, von „psychischer Robustheit“ und „psychischer Widerstandskraft“.
Wenn Sie genauer wissen wollen, wie Wissenschaftler zu erklären versuchen, warum manche Menschen mit einer Querschnittslähmung, mit Missbrauch, dem Tod ihres Kindes oder Kriegserlebnissen eher zurechtkommen als andere, warum manche das Trauma besser abschütteln können, dann finden Sie viele interessante Details in dem neuen Sachbuch. Was sagen Sozial- und Entwicklungspsychologen, was sagen Neurowissenschaftler und Verhaltensbiologen, Genetiker und Pädagogen zu dem Phänomen?
Dass die Autorin viele Expertinnen und Experten zum Thema Resilienz zitiert, ist einerseits das, was man sich wünscht. Andererseits: Wenn auf einer Buchseite gleich vier verschiedene Fachgrößen auftauchen, die insgesamt sechsmal etwas ‚sagen‘, ‚meinen‘ oder ‚gezeigt haben‘, dann muss man schon seinen Grips zusammennehmen. Aber das ist wohl der Preis dafür, dass alle möglichen Aspekte angesprochen werden, ohne dass sich die Argumentationsfäden verknäulen – eine Gefahr in diesem jungen und noch etwas unübersichtlichen Forschungsgelände.
Beispielhaft an dem Buch: In dem ausführlichen Anhang sind alle Zitierten ihrer jeweiligen Institution zugeordnet und ihre wesentlichen Publikationen werden kapitelweise gelistet. Ein Personenregister und ein Abkürzungsverzeichnis enthält der ausführliche Anhang auch. Wer möchte, kann also tiefer in die Wissenschaft von der Resilienz einsteigen, nachdem ihm Christina Berndt das Rüstzeug in die Hand gegeben hat.
Das Buch ist gut gegliedert, lebendig und lebensnah geschrieben. Es enthält einen Selbsttest zur Resilienz – wie es der Mode von Ratgeberbüchern und der Neugier ihrer Leser und Leserinnen entspricht – und im Schlusskapitel stehen Tipps für alle, die meinen mehr „Hornhaut auf der Seele“ zu benötigen oder diese ihren Kindern mitgeben zu müssen. Also, dieses Sachbuch ist kein Krimi, trotzdem fesselnd und eine runde Sache.
Stand: 1. Oktober 2013 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2013 / S.16