Zum Inhalt springen
© Jörg Schaaber

Bestseller Nr. 8: Novaminsulfon-Ratiopharm®

Novaminsulfon-Ratiopharm® steht auf Rang 8 der Arzneimittelbestsellerliste. Das ist ein Präparat, das den wohl am meisten umstrittenen schmerzlindernden Wirkstoff enthält: Metamizol. Wegen seiner Risiken ist es in vielen Ländern nicht auf dem Markt. In Deutschland wurde seine Anwendung zwar eingeschränkt, dennoch verordnen Ärzte zunehmend häufiger Metamizol – sogar bei leichteren Schmerzen, für die es nicht zugelassen ist. Ein Skandal.

Die Firma Hoechst brachte Metamizol 1921 in Deutschland als Novalgin® auf den Markt. Früher wurde der schmerzlindernde und fiebersenkende Wirkstoff bei uns meist als Novaminsulfon bezeichnet, heute hat sich „Metamizol“ durchgesetzt. In Großbritannien, Schweden, USA, Kanada und Australien ist es wegen seiner Risiken nicht im Handel. In Deutschland wird Metamizol hingegen seit mehr als 90 Jahren ununterbrochen angeboten – ein Beispiel dafür, dass Nutzen und Schaden von Arzneimitteln selbst in großen Industrienationen zum Teil sehr unterschiedlich bewertet werden.

Wegen des Risikos schwerer unerwünschter Wirkungen ist das Schmerzmittel hierzulande seit 1987 rezeptpflichtig. Und die Anwendung ist eingeschränkt: Ärzte dürfen Metamizol nur gegen starke Schmerzen verordnen und gegen sonstige Schmerzen, wenn andere Maßnahmen versagt haben oder nicht geeignet sind. Auch hohes Fieber darf mit Metamizol nur gesenkt werden, sofern alle anderen Maßnahmen erfolglos geblieben sind. Bei leichten oder mittelstarken Schmerzen ist Metamizol tabu.

Diese Einschränkungen gelten seit 1986 und wurden damals vom Bundesgesundheitsamt angeordnet,1 der Vorläuferbehörde des heutigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das Ziel war, die Risiken von Metamizol in den Griff zu bekommen. Gefürchtet ist vor allem die immunallergisch bedingte Agranulozytose. Bei dieser Knochenmarkschädigung sinkt die Zahl bestimmter Abwehrzellen, der weißen Blutkörperchen im Blut, rapide ab. Die Folge sind Fieber, Halsschmerzen und Geschwüre an Schleimhäuten, besonders der Mundschleimhaut, sowie lebensbedrohliche Infektionen bis hin zur Blutvergiftung (Sepsis).2,3,4

Diese unerwünschte Wirkung kann, auch wenn sie erkannt und behandelt wird, zum Tod führen. Wie oft es zu einer Agranulozytose durch Metamizol kommt, lässt sich nur ungefähr abschätzen – etwa eine Agranulozytose pro ein- bis dreitausend Patienten und Jahr dürfte eine realistische Größenordnung sein (siehe Kasten). Wichtig: Bei ersten Anzeichen der Schädigung (z.B. Halsschmerzen oder Geschwüre der Mundschleimhaut) sollte man das Mittel sofort absetzen, und das Blutbild muss unverzüglich vom Arzt kontrolliert werden.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft berichtete kürzlich über einen typischen Fall. Einem Patienten wurde Metamizol gegen Rückenschmerzen verschrieben. Er bekam starke Beschwerden, die im Krankenhaus nicht als Agranulozytose erkannt wurden. Er erhielt gegen sein hohes Fieber erneut Metamizol und starb.4

Eine weitere ernste Schadwirkung von Metamizol ist lebensbedrohlicher Blutdruckabfall. Das Risiko besteht vor allem, wenn Metamizol gespritzt wird – jedoch nicht nur dann.

Novalgin® heißt das Metamizol- Originalpräparat. Es wird heute mit rund einer Million Packungen im Jahr relativ selten verordnet. Dass Novaminsulfon- Ratiopharm® jedoch 2011 mit über elf Millionen Packungen auf Rang 8 der meist verkauften Arzneimittel Deutschlands steht, ist besorgniserregend. Parallel zur Zahl der Verordnungen steigt auch die Häufigkeit von Agranulozytosen.5 Und gerade aus den Berichten über unerwünschte Wirkungen von Metamizol lässt sich ablesen, dass es häufig auch bei leichten oder mittelstarken Schmerzen angewendet wird, oft sogar ohne dass der Patient oder die Patientin vorher ein weniger riskantes Schmerzmittel wie Paracetamol (Ben-u-ron® u.a) oder Acetylsalicylsäure (Aspirin®) ausprobiert hat.

Übersicht rezeptfreie Schmerzmittel
GPSP 1/2008, S. 3

Schweden oder die USA veranschaulichen, dass Schmerzbehandlung und Fiebersenkung möglich sind, auch ohne die Metamizol-Risiken einzugehen. Als Patient mit Schmerzen sollten Sie keine Reste früher erhaltener Metamizol- Präparate auf eigene Faust einnehmen. Wenn Ihr Arzt oder Ihre Ärztin Ihnen Metamizol verordnet, fragen Sie warum. Unseres Erachtens sollten Ärzte Metamizol möglichst nicht verordnen. Ein Preisvergleich erübrigt sich deshalb.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2013 / S.08