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© yasming/ iStock

Neu: Arznei gegen Blutschwämmchen

Eine Zufallsentdeckung

Wenn bei Babys kurz nach der Geburt Blutgefäße wuchern, etwa im Gesicht oder am Hals, drängt sich besorgten Eltern die Frage auf, was tun: abwarten oder behandeln? Und falls behandeln, wie? Erst kürzlich ist das erste Medikament speziell für Säuglinge mit Blutschwämmchen zugelassen worden. Dass es hilft, wurde ganz zufällig entdeckt.

Blutschwämmchen (Hämangiome) sind die häufigsten gutartigen Tumoren im Kindesalter. Bei etwa jedem 10. bis 20. Säugling entstehen bereits vor der Geburt solche Gefäßwucherungen, die in den ersten Lebenswochen zunächst als kleiner roter Fleck erscheinen und sich danach rasch als auffällig rot gefärbte erhabene Blutschwämmchen ausbreiten. Grundsätzlich können diese überall dort entstehen, wo Blutgefäße vorhanden sind, meist jedoch im Kopf- und Halsbereich.

Zwar sehen Blutschwämmchen auf der Haut bisweilen gefährlich aus, sind aber im Prinzip harmlos. Sie bilden sich über mehrere Jahre meist von selbst zurück. Oft reicht es also, abzuwarten. Wenn Blutschwämmchen aber beispielsweise im Bereich der Augen oder Nase, des Mundes, der Atemwege oder am After entstehen, sind sie nicht nur ästhetisch ein Problem, sondern können auch Körperfunktionen beeinträchtigen. Dann ist meist eine Therapie angebracht.

Operative Eingriffe mit Skalpell, Laser (siehe auch S. 14) oder Vereisung können Narben und Hautveränderungen hinterlassen. Zunehmend setzen Ärzte auf Medikamente. Früher waren das vor allem Kortison und ähnliche Arzneimittel. Und dann kam der Zufall ins Spiel: Als 2006 ein vier Monate alter Junge mit Blutschwämmchen im Nasenbereich einen Kortisonabkömmling einnahm, wurde dadurch sein Herzmuskel beeinträchtigt. Als Ärzte diese unerwünschte Wirkung mit dem Betablocker Propranolol behandelten, fiel ihnen auf, dass sich unerwartet das Blutschwämmchen zurückbildete.

Inzwischen sind Propranolol-Tropfen (Hemangiol®) als erstes Medikament ausdrücklich für die Behandlung von Blutschwämmchen bei Säuglingen zugelassen. Eine Studie an Kindern, bei der Propranolol mit einem Scheinmedikament verglichen wurde, bestätigte die Wirksamkeit der ursprünglichen Zufallsentdeckung. Bei 60 von 100 der Kinder, die Propranolol erhielten, bildeten sich die Blutschwämmchen binnen 24 Wochen vollständig oder nahezu vollständig zurück; bei Kindern, die das Scheinmedikament bekamen, waren es lediglich 4 von 100.1,2 Bei etwa jedem zehnten Kind wuchs das Blutschwämmchen allerdings nach Absetzen von Propranolol erneut, sodass die Therapie wiederholt werden musste.2 Wie Propranolol, das Ärzte bereits seit 50 Jahren bei Erwachsenen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verwenden, gegen Blutschwämmchen wirkt, ist bislang unklar.

Die Behandlung verursacht allerdings häufig unerwünschte Wirkungen: Etwa jeder vierte Säugling bekam Durchfall, jeder fünfte Schlafstörungen, jeder sechste Bronchitis, jeder zehnte Erbrechen oder kalte Extremitäten. Wie für Betablocker typisch, verringert Propranolol auch die Herzschlagfrequenz. Die Kinder müssen daher vor Beginn der Behandlung genau auf Risiken untersucht werden, die gegen eine Anwendung von Betablockern sprechen. Die Therapie wird wegen dieser Gefahren zum Teil auch stationär in einem Kinderkrankenhaus begonnen.

Während der Behandlung, und vor allem bei jeder Dosiserhöhung, müssen Ärzte und Ärztinnen ein besonderes Auge auf unerwünschte Folgen haben. Sinken Herzfrequenz oder Blutdruck zu stark ab, oder gibt es Hinweise auf Atemprobleme oder Unterzuckerung beim Kind, muss die Behandlung unterbrochen oder ganz abgesetzt werden.

Wegen der unerwünschten Wirkungen sollten Ärzte Propranolol-Tropfen trotz guter Wirksamkeit nur verordnen, wenn es wirklich nötig ist. Nach wie vor gilt: Ist das Blutschwämmchen nur ein kosmetisches Problem, kann in aller Regel abgewartet werden, bis dieser meist gutartige Gefäßtumor von selbst wieder abklingt. Wenn Blutschwämmchen jedoch Körperfunktionen behindern oder Schmerzen verursachen, geschwürartig wachsen und die Gefahr von bleibenden Narben oder Entstellung besteht, dann sind Propranolol-Tropfen eine wichtige Alternative zu operativen Eingriffen.

Das Medikament kostet 1.600 € bis 3.000 € pro Kind.2,3 Das ist für einen preisgünstigen Wirkstoff, der seit Jahrzehnten in der Medizin verwendet wird, ziemlich viel.4

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2015 / S.09