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Nährstoffe für den Rücken?

Keltican® forte soll‘s richten

Können einzelne Nährstoffe bei Rücken- oder Nervenschmerzen helfen? Das behauptet zumindest der Anbieter von Keltican® forte. Auch wenn man meinen könnte, es handle sich dabei um ein Medikament, ist dem nicht so. Rückenschmerzen sind weit verbreitet, unangenehm und mitunter enorm belastend. Wer Hilfe verspricht, kann daher mit Abnehmern für sein Therapieangebot rechnen.

So auch die Firma Trommsdorff. Die behauptet, dass „Keltican® forte dazu beitragen (kann), dass Sie schneller wieder zu mehr Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit finden“. Das Mittel enthält Vitamin B12, Folsäure und Uridinmonophosphat. Während die ersten beiden Substanzen als Vitamine geläufig sind, dürfte die dritte eher unbekannt sein. Uridinmonophosphat ist ein wesentlicher Baustein unseres Organismus und Bestandteil vieler Stoffwechselvorgänge. Unser Körper produziert und verwertet ihn je nach Bedarf selbst.

© Thomas Kunz

Nerven heilen?

Laut Anbieter soll das Produkt dem Körper helfen, defekte Nerven zu heilen, und zwar beim Wirbelsäulensyndrom (gemeint sind mit dem schwammigen Begriff offenbar Rückenschmerzen), bei Neuralgien (also Nervenschmerzen) und bei Polyneuropathien  (unterschiedliche Nervenschäden, meist in Armen oder Beinen).

Wir haben keine überzeugenden wissenschaftlichen Studien gefunden, die einen Nutzen von Keltican® forte für diese Anwendungen belegen. Dabei ist das Produkt schon länger auf dem Markt. Ebenfalls wichtig: Bei der Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien ist der Placeboeffekt sehr hoch – bis zu 45%.1 Mit anderen Worten: Egal, welche Behandlung man wählt, alleine der Glaube (oder die Hoffnung) kann vielen schon helfen.

Kein Arzneimittel

Keltican® forte hat einen Vorgänger: Unter dem Namen Keltican war früher ein Arzneimittel mit ähnlicher Zusammensetzung im Handel. Keltican® forte dagegen ist kein Arzneimittel, sondern ein „diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“. Der Gesetzgeber versteht darunter nicht etwa Diätprodukte zum Abnehmen, sondern Produkte mit normalen Nährstoffen – gedacht für Menschen, die aufgrund einer Erkrankung ihren täglichen Bedarf nicht mit der Ernährung decken können.2

Die Unterscheidung zwischen Arzneimittel und diätetischem Lebensmittel ist wichtig. Für Arzneimittel gelten viel strengere Regeln bei der Zulassung und Überwachung. Zum Beispiel müssen aussagekräftige Studien bei der Zulassungsbehörde BfArM eingereicht werden, und erst nach eingehender Prüfung kann der Arzneiwirkstoff zugelassen werden.

Ganz anders bei diätetischen Lebensmitteln. Der Anbieter muss sein Produkt bei der Lebensmittelbehörde BVL nur melden, das Fachwort heißt „anzeigen“. Es gibt also keine Zulassung und keine Prüfung wie bei Arzneimitteln.

Schwache Kontolle

BVL und BfArM haben 2016 eine Empfehlung herausgegeben, wie man zukünftig mit bilanzierten Diäten umgehen soll.3 Die Anbieter sollten „nach dem Stand der Wissenschaft die Eignung der […] zugesetzten Stoffe für die entsprechende Personengruppe belegen. […] Dabei sind in der Regel evidenzbasierte Daten wie randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudien heranzuziehen.“

Aber das ist nicht mehr als eine Empfehlung, die rechtlich eben nicht bindend ist.4 Die Behörden verlassen sich derzeit – wie das bei Lebensmitteln üblich und rechtens ist – auf die Selbstkontrolle der Unternehmen. Für den Verbraucher bleibt unklar, ob die Produkte wirklich halten, was sie versprechen. Und die Ahndung von Gesetzesverstößen wird durch die deutsche Bürokratie nicht gerade gefördert: Für Kontrolle und Verfolgung von Verstößen sind die Bundesländer zuständig.

Bewegung!

Keltican® forte ist teuer. Eine Packung mit 20 Kapseln kostet 21,95 €.5 Dabei geht es deutlich günstiger: Bei akuten Rückenschmerzen hilft vor allem eins: Bewegung.6 Schonung oder gar Bettruhe sind kontraproduktiv (GPSP 3/2010, S. 14). Schmerzmittel helfen, sich trotz der Rückenprobleme bewegen zu können. Sie sollten aber möglichst kurz und niedrig dosiert eingenommen werden. Bei chronischen Schmerzen ist eine spezialisierte Behandlung sinnvoll. Und da spielen teure Nährstoffe ebenfalls keine Rolle.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2017 / S.07