Mit Nahrungsergänzungsmitteln gegen Corona?
Wie Anbieter Werbeverbote umgehen
Werbung am Limit: Nahrungsergänzungsmittel werden zu vermeintlichen Wundermitteln gegen Corona. Das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Und generell verboten.
Vitamin D, Zink, eine LED-Lampe, ein Mundwasser, ein Kaugummi, ein pflanzliches Nahrungsergänzungsmittel: Die Liste aus dem Projekt „Faktencheck Gesundheitswerbung“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ist lang. Die verschiedenen Produkte haben alle eins gemeinsam: Ihre Anbieter haben illegal mit einem vermeintlichen Schutz vor dem Corona-Virus geworben – und prompt eine Abmahnung kassiert.1
Besonders häufig passiert das bei Nahrungsergänzungsmitteln – die gelten rechtlich als Lebensmittel. Und Anbieter von Lebensmitteln dürfen nicht mit Vorbeugung, Linderung oder gar Heilung von Krankheiten werben – unabhängig davon, ob für die Inhaltsstoffe solch eine Wirkung nachgewiesen ist.
Verbot dient Verbraucherschutz
Doch warum dürfen Lebensmittel eigentlich nicht krankheitsbezogen beworben werden? Das Verbot soll verhindern, dass Anbieter die Furcht von Verbraucher:innen vor Krankheiten für Werbezwecke ausnutzen. Denn schon bei seiner Einführung im Jahr 1974 war unseriöse Lebensmittelwerbung im Grenzbereich zwischen Gesundheit und Krankheit verbreitet.2 Außerdem sollen die Regeln Menschen auch davor schützen, sich bei ernsthaften Erkrankungen unsachgemäß selbst zu behandeln, wenn sie auf Erfahrungswissen über angebliche Heilwirkungen von Lebensmitteln vertrauen.
Ohne ein solches Verbot könnte im Extremfall ein Supermarkt so aussehen: Ein Schild am Korb mit den Zwiebeln wirbt für Zwiebelsäckchen, die bei Kindern mit Mittelohrentzündung die Schmerzen stillen sollen. Am Honigregal preist eine Werbung die besten Sorten gegen Husten an. Und aus dem Suppenhuhn würde ein Erkältungsmittel. Die Konsequenzen sind leicht auszumalen.
Tricks in der Werbung
Damit genau so etwas nicht passiert, sind krankheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln verboten. Erlaubt sind lediglich genehmigte gesundheitsbezogene Aussagen (Health Claims). Diese Regeln gelten auch für Nahrungsergänzungsmittel, die Nährstoffe in dosierter Form liefern. Vitaminpräparate beispielsweise dürfen deshalb nicht als Schutz gegen das Corona-Virus oder einen schweren COVID-19-Verlauf angepriesen werden. Unseriöse Anbieter kennen aber selbstverständlich dennoch Tricks. Einer davon geht so:
In der Pandemie gibt es jede Menge Forschung zur Gesundheitswirkung diverser Substanzen, die oft auch als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden. Selbst wenn die ersten Ergebnisse solcher Studien noch vage sind: Die Presse darf darüber berichten. Damit ist ein Thema in der Welt. Das nutzen manche Anbieter aus: Sie ziehen aus den Studien pseudowissenschaftliche Schlussfolgerungen und setzen diese gezielt für unseriöse Werbezwecke ein. Manchmal ist solche Werbung dann auch noch als redaktionelle Berichterstattung getarnt.
Corona: Hilft Vitamin D?
Prominentes Beispiel: Vitamin D-Präparate. In einigen Studien gab es Hinweise, dass Menschen, die mit einem schweren Verlauf von COVID-19 im Krankenhaus lagen, unzureichend mit Vitamin D versorgt waren. Auch wenn Vitamin D durchaus eine Rolle in unserem Immunsystem spielt, bedeutet das im Umkehrschluss keineswegs, dass eine Nahrungsergänzung mit Vitamin D vor Corona-Viren oder einem schweren COVID-19-Verlauf schützen kann. Zum einen gibt es zahlreiche Gründe für schwere COVID-19-Verläufe, und noch nicht alle hat die Wissenschaft vollständig verstanden. Zum anderen können Vorerkrankungen, die zu einem schweren Verlauf führen, gleichzeitig auch einen Vitamin D-Mangel begünstigen, zum Beispiel wenn sie die Mobilität einschränken und die Betroffenen sich dann nicht regelmäßig an der frischen Luft bewegen können. Davon abgesehen gibt es in gut gemachten Studien keine Belege, dass Vitamin D vor Corona schützt oder für leichtere COVID-19-Verläufe sorgt.3 Genau das aber suggerieren Werbeanzeigen, die zum Beispiel fragen „Genug Vitamin D für die Immunabwehr?“ oder behaupten „Mit Vitamin D gut gegen COVID-19 gewappnet!“.
Unzulässige Corona-Werbung
In beiden Fällen ist klar: Solch eine Werbung ist verboten. Nicht allein, weil sie wissenschaftlich unhaltbar ist, sondern weil sie auf Krankheiten anspielt. Denn im ersten Fall wird die Sorge geschürt, schlecht mit Vitamin D versorgt und deshalb nicht gegen Virenangriffe geschützt zu sein. Im zweiten Fall wird die Krankheit sogar ausdrücklich genannt.
Doch so eindeutig unzulässig ist Werbung in der Praxis selten. Da wird oft mit viel subtileren Mitteln gearbeitet. Mit Bildern zum Beispiel: Die Botschaft „unterstützt Ihr Immunsystem“ für ein Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D gilt, für sich genommen, als gesundheitsbezogene Aussage und ist für Vitamin D erlaubt. Gepaart mit der Abbildung einer erhobenen Hand, die verschiedene Viren abwehrt, weckt sie hingegen den Eindruck, das Mittel könnte Krankheiten vorbeugen.4 Das ist verboten.
Meinung oder Werbung?
Auch unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit versuchen Anbieter Lebensmittel mit Heilwirkungen zu bewerben, etwa indem sie Verbraucher:innen in Foren, Bewertungsportalen oder live im Teleshopping über ihre vermeintlichen positiven Erfahrungen berichten lassen. Die gute Nachricht (zumindest für Verbraucher:innen): Auch das ist unzulässig. Da helfen nach einschlägiger Rechtsauslegung auch keine Sternchenhinweise, mit denen sich die Anbieter von den Erfahrungsberichten distanzieren.
Nur: Produziert sind solche Werbeformate oft schneller als die Behörden sie beanstanden oder die Verbraucherzentralen sie abmahnen können. Es ist also nach wie vor wichtig, der Lebensmittelwerbung mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen.
Stand: 1. Juli 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2022 / S.21