Mit Magnesium gegen Depression?
Was nützt der Mineralstoff?
Glaubt man den Verheißungen der Werbung, ist Magnesium bei Depressionen eine wahre Stimmungskanone. Was bei uns echte Freude verbreiten würde: Wenn es dazu auch aussagekräftige Belege gäbe.
„Erfahren Sie, wie Magnesium bei Depressionen helfen kann“.1 Wer sich auf der Website eines Herstellers von Magnesium-Präparaten informiert, muss den Eindruck gewinnen, dass der Mineralstoff als Antidepressivum ein verkanntes Genie ist. Erscheint es doch total schlüssig, dass die Einnahme von Magnesium hilfreich ist, weil ein Magnesium-Mangel zu Depressionen führen kann. Und noch dazu, wo eine Studie gezeigt haben soll, dass Magnesium bei Depressionen genauso gut helfen kann wie das Antidepressivum Imipramin. Wie zuvorkommend, dass die Nutzerinnen und Nutzer dann noch den guten Rat erhalten: „Magnesium bei Depressionen stellt damit eine sinnvolle Begleittherapie dar.“
Was stimmt?
Sarkasmus beiseite – ist da tatsächlich etwas dran? Fangen wir mal mit den Werbeaussagen an. Viele Magnesium-Präparate sind rechtlich gesehen Nahrungsergänzungsmittel. Diese dürfen nur mit solchen Aussagen in Sachen Gesundheit werben, die explizit zugelassen sind.
Ein Blick in die Datenbank der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) verrät: Erlaubt ist die Aussage „Magnesium trägt zur normalen psychischen Funktion bei“. Die Begründung: Bei Magnesium-Mangel können sich psychische Beschwerden bemerkbar machen, unter anderem eine Depression.2 Worauf die EFSA nicht explizit hinweist: Daraus darf man nicht automatisch die umgekehrte Schlussfolgerung ziehen, dass alle Depressionen durch einen Magnesium-Mangel entstehen – und erst recht nicht, dass sich Magnesium zur (Begleit-)Therapie einer Depression eignet.
Nicht zugelassen bei Depression
Hinzu kommt: Nahrungsergänzungsmittel dürfen keine Aussagen zu einem eventuellen Nutzen bei bestimmten Erkrankungen machen – sonst wären sie nämlich zulassungspflichtige Arzneimittel. Tatsächlich gibt es auch Magnesium-Präparate, die als Arzneimittel zugelassen sind – allerdings zur Behandlung und Vorbeugung eines Magnesium-Mangels, nicht zur Therapie von Depressionen.
Suche nach Belegen
Jetzt wäre es ja möglich, dass ein Mittel zwar nicht offiziell für eine bestimmte Erkrankung zugelassen, in Studien aber dennoch seine gute Wirksamkeit belegt hat.3 Aus diesem Grund haben wir uns auf die Suche nach Studien gemacht, die Magnesium bei Depressionen untersuchen und mit mindestens einer anderen Therapiemöglichkeit vergleichen. Dabei sollten die Testpersonen zufällig der einen oder anderen Gruppe zugeteilt werden, um gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen (siehe auch Artikel zu Kontrollgruppen, S. 19 in diesem Heft). Tatsächlich haben wir beim Graben in zwei großen Literaturdatenbanken auch drei Studien4,5,6 finden können, die diese Kriterien formal erfüllen. Ein guter Start – die Enttäuschung kam aber, als wir uns die Untersuchungen genauer angesehen haben.
Viel Raum für Zufall
An allen drei Studien nahmen Patientinnen und Patienten mit einer Depression teil. Je nach Studie erhielten sie allerdings verschiedene Magnesium-Präparate in unterschiedlichen Dosierungen. Verglichen wurde die Wirksamkeit von Magnesium entweder mit einem Scheinmedikament (Placebo), keiner Behandlung oder dem Antidepressivum Imipramin.
Nur in einer der drei Studien war die zusätzliche Behandlung mit Antidepressiva erlaubt. Zwei Studien4,5 hatten mit 23 und 60 Testpersonen so kleine Teilnehmerzahlen, dass sich daraus von vorneherein keine zuverlässigen Aussagen ableiten lassen. Und selbst die größte der Untersuchungen6 mit 126 Teilnehmern ist für allgemeingültige Aussagen nicht umfangreich genug.
Verzerrte Ergebnisse
Hinzu kommt die schlechte methodische Qualität: In allen Studien wurde die Wirksamkeit von Magnesium mit Fragebögen getestet, bei denen die Testpersonen Einschätzungen zu ihrem seelischen Zustand abgeben sollten. Der Haken an der Sache: In zwei der Untersuchungen wussten die Teilnehmer, ob sie Magnesium oder eine andere Behandlung bekamen. Dieses Vorwissen kann die Wahrnehmung der eigenen Situation deutlich verzerren. In allen Untersuchungen fehlen bei der Auswertung die Daten einiger Teilnehmer. Aus all diesen Gründen sind die Studienergebnisse nicht brauchbar.
Nicht gleichwertig
Ist Magnesium tatsächlich so gut wirksam wie das Antidepressivum Imipramin? Das wurde in einer der Studien untersucht.3 Dabei konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler keinen Unterschied zwischen der antidepressiven Wirksamkeit von Magnesium und Imipramin feststellen.
Ist Magnesium also wirklich genauso gut wirksam wie der etablierte Arzneistoff? Das lässt sich aus der Studie leider nicht ableiten. Denn abgesehen davon, dass nur 23 Personen daran teilnahmen und weiteren methodischen Mängeln bei der Studiendurchführung, können auch noch einige andere Faktoren zu diesem Ergebnis beigetragen haben: So nahmen an der Studie hauptsächlich Menschen mit leichten Depressionen teil. Man weiß allerdings, dass diese Form oft auch von selbst wieder verschwindet – egal, ob die Betroffenen Magnesium oder Imipramin oder irgendetwas anderes einnehmen.
Placeboeffekt?
Außerdem ist bekannt, dass Antidepressiva bei leichten Depressionen oft nicht hilfreicher sind als ein Scheinmedikament.7 Dann könnten wir aus der Studie bestenfalls ableiten, dass Magnesium genauso gut hilft wie ein Placebo.
Im Idealfall müsste eine Studie zum Nutzen von Magnesium bei Depressionen deshalb eine ausreichend große Zahl von Patientinnen und Patienten auf drei Gruppen verteilen: eine mit Magnesium, eine mit Imipramin oder einem anderen Antidepressivum und eine mit einem Scheinmedikament.
Fazit
Kurz gesagt: Es gibt zwar Studien, die testen, ob Magnesium bei Depressionen hilft. Ein überzeugender Wirksamkeitsbeleg sind diese Untersuchungen aber nicht – denn die Studien sind sehr schlecht gemacht und lassen viele Fragen offen. Eine definitive Aussage können wir dennoch treffen: Die Werbung, die den Einsatz von Magnesium bei Depressionen propagiert, verursacht bei uns schlechte Stimmung.
Stand: 27. Dezember 2018 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2019 / S.12