Marketing statt Wissenschaft
Warum Ärzte bei Anwendungsbeobachtungen nicht mitmachen sollten
Sogenannte Anwendungsbeobachtungen für Arzneimittel sind leider keine gut kontrollierten klinischen Studien, die von einer Ethikkommission genehmigt werden müssen, sondern de facto ein kaum kontrollierbares Marketinginstrument. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnt jetzt vor einer Teilnahme.1
Angeblich wollen Pharmafirmen mit Anwendungsbeobachtungen – kurz AWB – Erkenntnisse sammeln, wie ihr Produkt im praktischen ärztlichen Alltag eingesetzt wird. Die teilnehmenden Ärzte und Ärztinnen werden dafür oft großzügig von den Herstellern entlohnt. In Wahrheit sollen AWB die Mediziner meist dazu verführen, ein bestimmtes Medikament häufiger zu verschreiben.
Dass diese Behauptung zutrifft, belegt jetzt eine gut gemachte Untersuchung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland.2 Sie verglichen das Verschreibungsverhalten von Ärzten, die an AWB teilnahmen, mit dem anderer Ärzte. Während der laufenden Beobachtung setzten die beteiligten Ärzte das Präparat 8% häufiger auf den Rezeptblock. Dieser Effekt blieb auch ein Jahr nach Ende der AWB nahezu gleich.
Im Gegensatz zu einer echten klinischen Studie werden bei einer laufenden Anwendungsbeobachtung die Medikamente ganz normal von den Krankenkassen bezahlt. Das bringt dem Hersteller bei den oft teuren Produkten einen erheblichen Gewinn. Gleichzeitig sind die meisten AWB so angelegt, dass überhaupt keine brauchbaren Resultate zu erwarten sind, entweder weil zu wenig Patienten einbezogen werden oder die Fragestellung durch die Gestaltung der AWB gar nicht beantwortet werden kann. Darüber hinaus bleiben die Ergebnisse häufig geheim, können also schon deshalb nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen.
Dabei ist das Ganze keineswegs immer nur vergleichsweise harmloses Marketing. Für Daclizumab, das 2016 gegen Multiple Sklerose zugelassen wurde, führte der Hersteller nur in Deutschland eine AWB durch. Das Mittel musste wegen teils tödlich verlaufender unerwünschter Wirkungen nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. In Deutschland hatten bis dahin 2.890 Patienten Daclizumab erhalten, im ganzen übrigen Europa nur 400. Mindestens sieben Todesfälle sind dokumentiert, die meisten davon in Deutschland.1
Auch Sie als Patientin oder Patient haben ein Wort mitzureden: Ärzte sollen darüber aufklären, wenn sie Ihnen ein Medikament im Rahmen einer AWB verschreiben wollen. Die Teilnahme daran ist für Sie immer freiwillig.
Stand: 30. August 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2020 / S.26