MS-Präparate
Ein Desaster
Viele Menschen mit Multipler Sklerose (MS) warten auf Medikamente, die ihnen besser helfen. Und tatsächlich hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in den letzten Jahren auch neue Wirkstoffe zugelassen – als Alternative zu den drei seit Langem verordneten Stoffen Interferon beta-1a, Interferon beta-1b und Glatirameracetat. Die neuen Mittel wurden von der EMA unter Vorbehalt zugelassen, weil noch Kenntnislücken hinsichtlich des Verhältnisses von Nutzen und Schaden bestanden.
Und wie ist der aktuelle Wissensstand? Italienische Wissenschaftler haben nachgeschaut und waren nicht begeistert: Sie haben einen genauen Blick auf die 16 Publikationen geworfen, die für die Zulassungen relevant waren.1 Das Ergebnis: In 11 Studien wurde das neue Medikament nur mit einem wirkstofffreien Scheinmedikament verglichen, statt mit einem bekanntermaßen wirksamen Präparat. Das verstößt gegen die ethischen Standards der Deklaration von Helsinki, wenn Studienteilnehmer nur ein Placebo erhalten und ihnen dadurch eine wirksame Therapie vorenthalten wird.
Zu kurz war die Dauer der Studien: Nur 2 von 16 dauerten länger als zwei Jahre. Und das bei Medikamenten, die lebenslang genommen werden sollen.
Schließlich galt als Bewertungskriterium für den Nutzen nur die Zahl der jährlichen MS-Schübe. Nahmen diese ab? Ein wenig. Aber die wichtigste Frage wurde nicht gestellt – wie gut es Betroffenen mit der einen oder der anderen medikamentösen Therapie geht.
Nicht besser ist übrigens die Aussagequalität vieler der 52 Studien, die die Wissenschaftler bei einer ergänzenden Literaturrecherche prüften: Zwei Drittel hatten den neuen Wirkstoff ebenfalls nur mit einer Placebo-Therapie verglichen und nicht mit einem etablierten MS-Medikament. Dass die Studien zu neuen (und teuren) MS-Medikamenten technische Mängel haben und so wenig aussagekräftig sind, ist ein Desaster und eine Missachtung hilfesuchender kranker Menschen.
Stand: 12. September 2018 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2018 / S.14