Krebsmedikament vom Markt
Kommerzielle Interessen gefährden Leukämiepatienten
Alemtuzumab (MabCampath®) ist ein Antikörper zur Behandlung einer seltenen Form der Leukämie. Es hat sich gezeigt, dass dieses Arzneimittel wohl auch bei der Multiplen Sklerose (MS) wirksam ist. Der Anbieter Genzyme, eine Tochtergesellschaft des deutsch-französischen Konzerns Sanofi, hat für diese neue Indikation eine Zulassung beantragt und verspricht sich davon einen deutlich höheren Umsatz. Allein in Deutschland leben derzeit 130.000 Patienten mit MS und jährlich gibt es etwa 2.500 Neuerkrankungen.
Für den Hersteller gibt es aber ein „kleines“ Problem: Während gegen Leukämie hohe Dosierungen von Alemtuzumab benötigt werden, erfordert die Behandlung von MS nur eine niedrige Dosierung. Will das Pharmaunternehmen also viel Geld verdienen, muss es den Preis pro Dosis drastisch erhöhen. Wie verhindert man nun aber, dass Ärzte das „alte“ preisgünstigere Alemtuzumab (MabCampath®) anstelle des neuen, viel teureren Alemtuzumab gegen MS einsetzen? Die Lösung: Genzyme nimmt MabCampath® zur Behandlung der Leukämie einfach vom Markt.
Der Hersteller betont, dass „diese Entscheidung in keiner Weise aufgrund von Bedenken bezüglich der Sicherheit, Wirksamkeit oder Lieferbarkeit des Arzneimittels getroffen wurde“. Deutlicher ist da die Mitteilung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, die ohne Schnörkel sagt, dass der Hersteller die Zulassung „aus kommerziellen Gründen“ zurückgibt. Im Jahr 2011 lag der Umsatz von MabCampath® bei „nur“ 1,2 Millionen Euro. Für das MS-Medikament ist sicher ein Vielfaches zu erwarten.
Das Nachsehen haben die Leukämiepatienten, ihre Angehörigen und auch Ärzte. Um deren Zorn zu bezähmen, bietet Genzyme an, Alemtuzumab für Leukämiepatienten kostenlos zur Verfügung zu stellen. Der behandelnde Arzt muss für jeden Patienten das Mittel beim britischen Pharmazwischenhändler Clinigen einzeln bestellen. Das macht nicht nur die Beschaffung für die Krankenhäuser umständlich, es geschieht auch am Rande der Legalität. Da das Arzneimittel nicht (mehr) zugelassen ist, ha&et bei Schäden nicht mehr das Pharmaunternehmen, sondern die behandelnden Ärzte.
Das wurde bereits scharf kritisiert.1,2,3 Dass Hersteller, die sonst immer die Wichtigkeit ihrer Medikamente und ihr verantwortungsvolles Handeln betonen, aus kommerziellen Gründen ein Medikament vom Markt nehmen, für das es keinen anständigen Ersatz gibt, ist moralisch verwerflich, aber gegenwärtig legal.
Die Bundesregierung müsste darauf drängen, dass auf nationaler wie auf europäischer Ebene Regelungen getroffen werden, damit unentbehrliche Medikamente nicht einfach nach Gutdünken des Herstellers vom Markt verschwinden. Japan könnte dabei als Vorbild dienen. Bei Antrag auf Marktrücknahme werden dort zunächst die ärztlichen Fachkreise befragt. Und eine Genehmigung erfolgt nur, wenn diese zustimmen, dass es sich nicht um ein dringend erforderliches Arzneimittel handelt.
Stand: 1. Februar 2013 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2013 / S.25