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© Valerie Loiseleux/ iStockphoto.com

Kolumbus und die „Franzosen-Krankheit“

Wie sich die Syphilis in Europa verbreitete

Die „Lust“ auf Entdeckungen und Eroberungen forderte ab dem 15. Jahrhundert in Europa einen hohen Tribut. Denn die Seefahrer brachten aus Übersee nicht nur Kartoffeln, Tomaten und Kakao mit, sondern auch eine Geschlechtskrankheit, die bis heute eine Rolle spielt: Syphilis.

Lissabon, Sevilla, Barcelona – 1493 lief Christoph Kolumbus auf dem Rückweg von dem neu entdeckten Kontinent Amerika mit seiner Mannschaft innerhalb kurzer Zeit in die Häfen dieser Städte ein. Die Matrosen hatten nach der langen Überfahrt wohl auch eines im Sinn: Bordelle. Was sie nicht wussten: Sie hatten sich vermutlich auf Haiti mit dem Erreger einer Krankheit angesteckt, die in Europa noch gänzlich unbekannt war, sich aber innerhalb kürzester Zeit über den gesamten Kontinent ausbreiten sollte: die Syphilis. Dazu trugen später vor allem Soldaten bei. Sie nutzten die Dienste von Prostituierten besonders häufig und zogen oft quer durch Europa. Anschließend brachten sie die Krankheit mit nach Hause.1

Vielfältige Namen: Syphilis, Schanker, Lues

Bald war überall von der rätselhaften Seuche die Rede. In Deutschland und Italien hieß sie Franzosen-Krankheit, in Frankreich Spanische Krankheit, in Polen wurde sie Deutsche Krankheit genannt und in Russland die Polnische Krankheit. Daran lässt sich der Weg, den die Syphilis in Europa nahm, sehr gut nachvollziehen: Stets wurden diejenigen, die sie einschleppten, mit der zweifelhaften Ehre bedacht, Namensgeber der Epidemie zu sein.

Und immer weitere Bezeichnungen tauchten auf: So wird die Syphilis auch als „Harter Schanker“ – nach der Gestalt der Hautveränderungen – oder als Lues – lateinisch für „Seuche“ oder „Unheil“ – bezeichnet. Der Name Syphilis stammt wohl aus einem italienischen Gedicht aus dem Jahr 1530, in dem ein Schafhirte namens Syphilus wegen Gotteslästerung mit einer neuen Krankheit bestraft wird.2

Stigma durch Syphilis

Ohne Zweifel: Die Syphilis verbreitete Angst und Schrecken. Weil sie beim Sex übertragen wird, war es vielen peinlich, sich medizinische Hilfe zu suchen. Wirksame Mittel standen zudem lange Zeit nicht zur Verfügung.

Der Syphilis-Erreger – das Bakterium Treponema pallidum – wurde erst 1905 in der Charité Berlin von dem Militärarzt Erich Hoffmann und dem Zoologen Fritz Schaudinn entdeckt. Heute wissen wir, dass das Bakterium auch von der Mutter an das ungeborene Kind weitergegeben werden kann.

Tückischer Verlauf

Was Syphilis so gefährlich macht: Die Krankheit verläuft in mehreren Stadien, bei denen die Beschwerden teilweise von selbst wieder verschwinden. Doch das ist leider kein gutes Zeichen, denn die Erreger bleiben im Körper und breiten sich weiter aus. Ungefähr zwei bis drei Wochen nach der Ansteckung bilden sich – je nach ausgeübten Sexualpraktiken – an Geschlechtsorganen, im After oder im Mund schmerzlose Geschwüre, die nach vier bis sechs Wochen von alleine wieder abheilen. Im zweiten Stadium entwickelt sich meist ein Hautausschlag und in den Hautfalten flache Knötchen. Oft setzt Fieber ein, die Entzündungswerte im Blut sind erhöht und die Betroffenen fühlen sich krank. Aber auch diese Symptome verschwinden meist ohne Behandlung wieder. Die Ansteckungsgefahr ist in den ersten beiden Stadien am höchsten, besonders wenn man die austretende Flüssigkeit der Hautgeschwüre berührt.

Das dritte Stadium kann mehrere Jahre nach dem Abklingen der Symptome einsetzen. Die Erreger haben sich in der Zwischenzeit im gesamten Körper ausgebreitet und können die Blutgefäße verschiedener Organe schädigen. Außerdem können sich gummiartige Knoten an Haut, Schleimhaut und Knochen bilden, aus denen großflächige Geschwüre entstehen können. Besonders gefährlich wird es, wenn dabei die Hauptschlagader (Aorta) geschädigt wird und reißt. Etwa 10 bis 20 Jahre nach Beginn der Erkrankung (Stadium 4) entwickelt jeder fünfte Infizierte neurologische Symptome, wie zum Beispiel eine Gehirnentzündung, Psychosen, Bewegungs- und Sprachstörungen und Demenz.3

Was hilft gegen Syphilis?

Die Liste prominenter Syphilis-Kranker ist lang und reicht von Heinrich VIII. über Katharina die Große bis Beethoven und Oscar Wilde.4 Dass sich die Erkrankung jahrhundertelang ungehindert ausbreiten konnte, lag auch daran, dass es kein wirksames und verträgliches Heilmittel gab.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte man es mit Quecksilbersalbe („Graue Salbe“), die großflächig auf die Haut der Patienten aufgetragen wurde. Die Folge waren massive Nebenwirkungen wie Haarausfall, Zahnausfall und weitere Anzeichen einer Quecksilbervergiftung.

Auch mit einem anderen Gift wurde experimentiert, aber wesentlich erfolgreicher: Arsen. Paul Ehrlich und andere Wissenschaftler entwickelten 1909 die organische Arsenverbindung Arsphenamin, die unter dem Namen Salvarsan gehandelt wurde. Dieser Wirkstoff wurde später noch weiterentwickelt und trug wirksam dazu bei, die Syphilis zu bekämpfen.

Noch effektiver und verträglicher war jedoch das 1928 entdeckte Penicillin, das in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg Salvarsan und ähnliche Therapien als Syphilis-Mittel ablöste.5 Bis heute ist Penicillin das Mittel der Wahl. Je früher Syphilis damit behandelt wird, desto größer ist die ­Chance, dass die körperlichen Schäden begrenzt bleiben und dass sie sich nicht weiter ausbreitet.3

Ein Skandal: Die Tuskegee-Syphilis-Studie

Die Geschichte der Syphilis ist aber auch mit einem der größten Medizinskandale in den USA verbunden: In der Tuskegee-Syphilis-Studie wurden zwischen 1932 und 1970 in Alabama 400 Menschen schwarzer Hautfarbe, die zumeist arm und Analphabeten waren, eine Behandlung absichtlich verweigert, um die Spätfolgen der Syphilis zu untersuchen. Die Studie wurde sogar noch weitergeführt, obwohl die Wirksamkeit von Penicillin nachgewiesen und das Antibiotikum überall verfügbar war. Erst 1972 wurde dieser unethische Versuch gestoppt, nachdem ein Pressebericht die Öffentlichkeit aufgeschreckt hatte.6

Weiter aktuell

Syphilis ist keineswegs besiegt: Seit 2001 ist die (nicht namentlich) meldepflichtige Erkrankung in Deutschland wieder häufiger. So verzeichnete das Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für den Infektionsschutz der Bevölkerung zuständig ist, im Jahr 2017 mehr als 7.000 Syphiliserkrankungen, 2001 waren es nur rund 2.000.7
Vor allem in Großstädten und bei Männern, die Sex mit Männern haben, wird Syphilis zunehmend häufiger diagnostiziert, oft auch in Kombination mit einer HIV-Infektion. Kondome bieten zwar einen gewissen Schutz, aber keinen hundertprozentig zuverlässigen. Deshalb ist es besonders wichtig, bei unklaren Hautveränderungen, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen und gegebenenfalls früh mit Penicillin zu behandeln.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2019 / S.12