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Restless Legs Syndrom

Keine Volkskrankheit

Manche Krankheiten sind sehr unangenehm, aber zum Glück eher selten. Eine davon ist das Restless Legs Syndrom, der unstillbare Drang, die Beine zu bewegen. Wenn Arzneimittelhersteller dieses Syndrom zur Volkskrankheit aufbauschen, um ihren Umsatz anzukurbeln, gehört das in die Rubrik „Krankheiten erfinden“.

Unruhige Beine sind eine Qual. Durch das Restless Legs Syndrom (RLS) können Betroffene nachts nicht einschlafen. Wenn es doch endlich gelingt, werden sie wieder von Zuckungen der Beine geweckt. Die Folge sind schwere Schlafstörungen und große Müdigkeit tagsüber. Die Ursachen für RLS sind noch immer unzureichend geklärt. Bei sechs von zehn Betroffenen scheinen die ruhelosen Beine Symptom einer anderen Krankheit zu sein, z.B. von Eisenmangel. Oder sie werden durch Medikamente wie etwa Antidepressiva ausgelöst (siehe Tabelle).1

©Thomas Kunz

Lassen sich die Ursachen der Erkrankung be­heben oder die auslösenden Arzneimittel absetzen, verschwindet auch die Unruhe in den Beinen. Manchmal können Bewegungsübungen oder Verzicht auf Koffein helfen. Bei stark beeinträchtigendem RLS verschaffen manchmal Medikamente Linderung, deren Wirkstoffe sonst gegen die Parkinson-Krankheit eingenommen werden wie Pramipexol (Sifrol®), Ropinirol (Adartrel®) oder das Levodopa-haltige Mittel Restex®. Aber es gibt beträchtliche Nebenwirkungen, beispielsweise Übelkeit bei jedem Dritten bis Fünften.

Auch können Pramipexol und Ropinirol die RLS-Beschwerden sogar verschlechtern. Grundsätzlich ist daher die Behandlung durch einen erfahrenen Neurologen zu empfehlen.

RLS ist relativ selten, erfährt aber inzwischen starke öffentliche Aufmerksamkeit. Hierzu tragen massive Werbeanstrengungen von Arzneimittelherstellern bei.2 2003 startete der Konzern GlaxoSmithKline (GSK) ausgehend von den USA eine Kampagne, um RLS bekannt zu machen. Es begann mit einer Veröffentlichung, dass Medikamente, die bisher bei der Parkinson-Krankheit angewendet wurden, auch bei RLS helfen. Zwei Monate später folgte die Pressemeldung: Ein „weit verbreitetes“, aber angeblich „verkanntes Restless Legs Syndrom hält Amerikaner nachts wach“.

Die Geschichte wurde begierig von den Medien aufgegriffen. Dutzende Berichte in TV und Presse folgten. Der Plan war aufgegangen: Die Krankheit war in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Als später die umfangreiche Medienberichterstattung analysiert wurde, fielen typische Marketingstrategien auf:

  • Ärztliche Untersuchungen werden angekurbelt. So werden Menschen verunsichert, ob sie nicht vielleicht auch RLS haben. Die Behauptung, die meisten Ärzte würden die Krankheit nicht kennen, schafft zudem Misstrauen. Jeder fünfte Artikel verwies für nähere Informationen aufeine amerikanische „RLS Stiftung“. Diese erhält Gelder vom Arzneimittelhersteller GSK.
  • Die Häufigkeit wird übertrieben. Ohne zu hinterfragen, hatten Journalisten Angaben des Pharmaherstellers übernommen. Ein genauer Blick auf die Schätzungen („1 von 10“) zeigt aber, dass viele Menschen einbezogen wurden, die gar kein RLS haben, sondern nächtliche Wadenkrämpfe oder Nervenschäden durch Diabetes.
  • Die Behandlung mit dem GSK-Medikament wird propagiert und damit eine Überbehandlung gefördert, die angesichts der zum Teil starken Nebenwirkungen unerwünscht ist.3 Dabei ist die Diagnose leicht zu stellen: Vier Kriterien müssen erfüllt sein (siehe Kasten).
  • Der Ruf nach mehr Diagnostik sowie die Übertreibung des Nutzens und die Verharmlosung von Nebenwirkungen gehören zu einer Strategie, die als „Erfinden von Krankheiten“ bezeichnet wird. Phänomene, die nur relativ wenige betreffen, werden zu einer Volkskrankheit aufgebauscht. Oder weit verbreitete Befindlichkeitsstörungen, die oft von alleine abklingen, werden zur Krankheit umdefiniert. Arzneimitelhersteller spannen dabei gezielt die Medien ein. Solche Kampagnen sind in der Regel gut geplant. Auch die Ärzte werden einbezogen – sie müssen ja schließlich die Medikamente später verschreiben. Arzneimittel gegen unruhige Beine können für die, die sie wirklich benötigen, ein Segen sein, trotz der zum Teil starken Nebenwirkungen. Aber viele Verordnungen sind unnötig – eben das Ergebnis von falschen Diagnosen. So entstehen erfundene Krankheiten.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2008 / S.06