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HPV-Impfung für Jungen

Empfehlung mit vielen Fragezeichen

Seit Sommer 2018 gibt es eine offizielle Empfehlung, auch Jungen gegen humane Papillomaviren zu impfen, die mit verschiedenen Krebserkrankungen in Verbindung gebracht werden. Wie gut ist die Empfehlung durch Studien abgedeckt? Wir haben uns dazu die Datenlage genauer angesehen.

Anfang Juni formulierte die Ständige Impfkommission (STIKO) die Empfehlung, dass zukünftig nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren gegen humane Papillomaviren (HPV) geimpft werden sollen.1 Daraufhin überschlugen sich in der Presse die Jubelmeldungen über diesen Beschluss: „Längst überfällig“ sei die Empfehlung, auch Jungen gegen HPV zu impfen, so eine Kommentatorin in der Süddeutschen Zeitung.2 Und der Nobelpreisträger Harald zur Hausen, der den Zusammenhang zwischen HPV und Gebärmutterhalskrebs erforschte, ließ sich mit der Bemerkung zitieren, für diesen Beschluss sei es „höchste Zeit“.3

Blick ins Detail

So manche GPSP-Leserinnen und -Leser könnte das verwundert haben, kamen wir vor einem Jahr doch zu der Schlussfolgerung, dass die Datenlage für eine HPV-Impfung bei Jungen äußerst dünn ist. Gibt es etwa neue Studien, die nun die Bewertung vollkommen ändern? Oder haben wir einen Fehler gemacht? Um das herauszufinden, haben wir uns die wissenschaftliche Begründung4 und die ihr zugrunde liegende Zusammenfassung der Datenlage5 noch einmal sehr gründlich angesehen.

HPV als Krebsursache

Was eine HPV-Impfung bewirken soll, beschreibt die STIKO sehr treffend: „Das Impfziel der HPV-Impfung von Mädchen und Jungen ist die Reduktion der Krankheitslast durch HPV-assoziierte Tumoren.“4 Verständlicher formuliert: Mit der Impfung sollen Krebserkrankungen verhindert werden, die durch HPV ausgelöst werden. Bei Jungen und Männern sind das vor allem Tumore am After (Analkarzinom), am Penis sowie in Mund und Rachen. Diese Tumore sind nicht nur sehr selten, sondern es ist auch sehr unterschiedlich, wie häufig HPV an einer dieser Krebserkrankungen beteiligt ist.6

Wann schützt die Impfung?

Eine HPV-Impfung kann natürlich nur vor den Krebserkrankungen schützen, die tatsächlich durch HPV ausgelöst werden – genauer gesagt, nach dem derzeitigen Kenntnisstand auch nur gegen die Typen des Virus, gegen die sich der Impfstoff richtet. Gerade im Hinblick auf Karzinome am Penis sowie in Mund und Rachen muss man also damit rechnen, dass trotz der Impfung immer noch Krebserkrankungen an diesen Körperstellen auftreten können.

Aber wie sieht es jetzt mit den Krebserkrankungen aus, die wirklich durch HPV ausgelöst werden? Würden sich die wenigen Fälle7 alle verhindern lassen, wenn Jungen gegen HPV geimpft würden? Antwort auf diese Frage können nur aussagekräftige klinische Studien liefern. Die vorhandenen hat die STIKO bei der Erarbeitung ihrer Empfehlung ausgewertet. Ein Blick auf die Daten ist jedoch ziemlich ernüchternd – denn die Studienlage ist doch sehr begrenzt und wirft viele Fragen auf.

Ergebnisse übertragbar?

Die Auswertung basiert auf sieben Studien, bei denen ein Impfstoff eingesetzt wurde, der sich gegen vier verschiedene HPV-Typen richtet.4 Seit Ende 2017 ist dieser Wirkstoff in Deutschland aber nicht mehr erhältlich, weil er durch einen Impfstoff gegen neun HPV-Typen ersetzt wurde. Von der Zusammensetzung her ist eine Übertragung der Ergebnisse auf den neueren Impfstoff theoretisch plausibel, aber es fehlen Studien, die das auch konkret belegen.

Schutz vor Krebs?

Ob und wie sicher die HPV-Impfung Jungen und Männer tatsächlich vor Krebs oder seinen Vorstufen in Mund und Rachen schützt, wurde in keiner der identifizierten Studien untersucht. Dazu lässt sich also keine Aussage machen.4

Ist die Studienlage für den Schutz vor Anal- oder Peniskarzinom besser? Hier zieht die STIKO für ihre Empfehlung dieselbe Studie heran wie wir bei unserer Einschätzung in GPSP 6/2017 (S. 16) – und kommt auch zu einer ähnlichen Aussage: Ein statistisch eindeutiger Effekt findet sich nur für niedriggradige Zellveränderungen am After (AIN2). Durch die Impfung haben 27 von 1.000 männlichen Teilnehmern weniger diese Zellveränderungen. Bei den viel relevanteren höhergradigen Zellveränderungen am After (AIN3 oder Analkarzinom) sowie bei allen Zellveränderungen am Penis ließ sich kein Nutzen der HPV-Impfung belegen.4

Das bedeutet nicht automatisch, dass die HPV-Impfung unwirksam ist – aber wir haben bisher keine guten Wirksamkeitsbelege, mit denen man den Nutzen der Impfung verlässlich abschätzen könnte. Und hinzu kommt: An dieser Untersuchung nahmen nur Männer zwischen 16 und 26 Jahren teil, die Sex mit Männern und deshalb ein höheres Infektionsrisiko hatten. Für die Allgemeinbevölkerung könnte der Schutzeffekt deshalb durchaus niedriger sein.

Tatsächlich geschlechtergerecht?

Was spricht jetzt bei dieser mageren Datenlage für eine HPV-Impfung auch für Jungen? Ein Grund, den die STIKO anführt, ist Geschlechtergerechtigkeit. Gemeint ist damit, dass es unfair wäre, wenn sich Jungen für den Schutz vor HPV-bedingten Krebserkrankungen auf eine hohe Durchimpfungsrate bei Mädchen verlassen müssten, um geschützt zu sein. Man spricht hier von Herdenimmunität oder Gemeinschaftsschutz. Die relativ niedrige Durchimpfungsrate von derzeit unter 50% bei Mädchen reicht dafür nicht aus.4 Über­dies profitieren Männer, die Sex mit Männern haben, nicht vom Impfschutz der Mädchen.

Ein Argument, das die STIKO nicht bringt: Wären die Jungen geimpft, würde das die Mädchen zusätzlich schützen.

Eine weitere Ungerechtigkeit, nämlich dass bei Männern Krebs durch HPV und der Impfschutz deutlich schlechter untersucht und belegt sind als bei Frauen, wird durch die Impfung für Jungen allerdings nicht beseitigt.

Furcht vor Nebenwirkungen

Die wissenschaftliche Begründung der STIKO enthält aber noch weitere interessante Daten, die sich durchaus als Argument gegen die Jungen-Impfung werten lassen: So haben die Fachleute berechnet, dass der Nutzen der Jungen-Impfung deutlich geringer wäre, würden mehr Mädchen geimpft – denn so würde die Ansteckungsgefahr sinken. Dabei können Frauen von der Impfung ohnehin mehr profitieren, weil Gebärmutterhalskrebs deutlich häufiger ist als die mit HPV assoziierten Krebsformen bei Männern. Zudem ist die Schutzwirkung für Frauen etwas besser belegt.8
Warum sich denn nicht mehr Mädchen impfen lassen beziehungsweise Eltern dafür sorgen, dass ihre Töchter geimpft werden? Auch dazu gibt es Daten. Interessanterweise werden in einer Umfrage als häufigste Gründe Sicherheitsbedenken und die Angst vor Nebenwirkungen genannt.4

Bessere Impfinformationen

Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Denn es fehlen auf den offiziellen Seiten, die sich an Eltern richten,9 verständliche Informationen zu abgeschlossenen Untersuchungen zu schweren Nebenwirkungen. Und die gibt es tatsächlich: Aktuell berichtet etwa das Bulletin für Arzneimittelsicherheit, dass sich aus den bisherigen Daten keine verlässlichen Hinweise auf schwerwiegende unerwünschte Wirkungen ableiten lassen, aber weitere Untersuchungen notwendig sind.10 Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heißt es derzeit lapidar: „Schwere Nebenwirkungen treten nur selten auf.“ Das kann man dann glauben oder nicht oder sich schlimme Dinge ausmalen, die auf das Konto der Impfung gehen könnten. Bessere Impfinformationen sind also auch dringend nötig.

Ist die HPV-Impfempfehlung für Jungen also wirklich der effizienteste Weg, Krebserkrankungen durch HPV zu verhindern? Es wäre schön, ließe sich diese Frage bald mit einiger Sicherheit beantworten.

HPV-Impfung
GPSP 6/2017, S. 16

Gemeinschaftsschutz
GPSP 5/2018, S. 19

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.10