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Gerinnungshemmer

Für Kontrollen den INR-Wert verwenden!

Viele Menschen nehmen zum Schutz vor Thrombosen und Schlaganfällen dauerhaft Gerinnungshemmer ein, wie zum Beispiel Phenprocoumon (Marcumar® u.a.). Um Blutungen zu vermeiden, müssen solche Vitamin-K-Antagonisten allerdings exakt dosiert werden. Das gelingt dadurch, dass die Gerinnungswerte regelmäßig gemessen werden und die Dosis entsprechend angepasst wird. Dafür wird statt des INR-Werts jedoch oft noch der ungeeignete Quick-Wert verwendet. Er kann in die Irre führen – mit fatalen Folgen.

Gerinnungshemmende Arzneimittel werden seit mehr als 60 Jahren in der Medizin eingesetzt. Das mindert das Risiko für die Entstehung gefährlicher Blutgerinnsel (Thromben). Denn diese können zu Gefäßverschlüssen (Thromboembolien) und zum Beispiel zu einem Schlaganfall führen. Einer der am häufigsten dafür eingesetzten Wirkstoffe ist Phen­procoumon, besser bekannt unter Handelsnamen wie Marcumar®, Phenprogamma® oder Falithrom®.

Individuell anpassen

Phenprocoumon gehört zu einer Gruppe von Medikamenten, die man als Vitamin-K-Antagonisten bezeichnet. Dazu gehören auch die in Deutschland nur sehr selten verordneten Wirkstoffe Warfarin (Coumadin®) und Acenocoumarol (Sintrom®). Vitamin-K-Antagonisten verordnen Ärzte vor allem bei dauerhaftem Vorhofflimmern, aber auch Patienten mit künstlichen Herzklappen sowie Menschen, die schon einmal eine Lungenembolie hatten. Im Optimalfall lässt sich das Risiko auf diese Weise um zwei Drittel senken. Je nach Gesundheitszustand und Alter können auf 1.000 Patienten gerechnet zwischen 4 und 75 Schlaganfälle pro Jahr verhindert werden.1

Wer solche Mittel langfristig nimmt, muss jedoch auch wissen, dass die Behandlung Gefahren birgt. Die einzige Möglichkeit, sie zu minimieren ist, die Blutgerinnung immer wieder sorgfältig zu überprüfen und bei Bedarf die Dosierung schnell anzupassen. Denn das Ausmaß der Gerinnungshemmung ist nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden. Es kann selbst bei ein und derselben Person deutlich schwanken. Wie stark Präparate wie Phenprocoumon wirken, hängt nämlich von zahlreichen Faktoren ab, die – wie aktuelle Untersuchungen belegen – sogar die behandelnden Ärzte häufig nicht kennen oder nicht bedenken.2 Dadurch kann es schnell zu einer Unterdosierung oder zu einer Überdosierung kommen. Denn zwischen zu viel und zu wenig des gerinnungshemmenden Mittels verläuft ein schmaler Grat, und beides kann schwerwiegende Folgen haben.

„Blauer Fleck“ nicht ohne!

Eines der Hauptprobleme der Therapie ist das erhöhte Risiko für Blutungen. Trotz korrekter Dosierung kann es bei Verletzungen zu verstärkten oder verlängerten Blutungen kommen – und zwar selbst dann, wenn der Anlass vergleichsweise harmlos erscheint. Zum Beispiel eine leichte Prellung am Bein beim Sport, der man normalerweise keine große Beachtung schenkt. Oder eine unbedachte Bewegung, bei der man sich den Kopf ein wenig anschlägt, ohne dass von außen eine Schramme oder Wunde zu sehen ist. Im schlimmsten Fall droht dann eine Hirnblutung: Und die kann lebensgefährlich werden oder bleibende Schäden wie etwa demenzähnliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen.

Auch wenn sich am Lebensstil oder an der gesundheitlichen Situation des Patienten oder der Patientin etwas ändert, kann es zu einer Überdosierung kommen. Zum Beispiel können Durchfall, Fieber und große Mengen Alkohol die Wirkung des Gerinnungshemmers verstärken und das Blutungsrisiko steigern.

Wechselwirkungen beachten

Viele Medikamente verstärken ebenfalls die Wirkungen von Phenprocoumon. Bekannt ist das von Antibiotika, Mitteln gegen Depressionen, Thyroxin und ASS, besonders wenn es höher dosiert als Schmerzmittel eingenommen wird. Hingegen schwächen Schlafmittel, Abführmittel, Östrogene und bestimmte Blutdrucksenker die Wirkung ab. Auch etliche rezeptfreie Arzneimittel und pflanzliche Produkte verändern die Wirkung, darunter Johanniskraut und Ginkgo biloba.

Tatsächlich geht ein Großteil der Komplikationen mit Gerinnungshemmern darauf zurück, dass Ärzte bei der Verordnung mögliche Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln übersehen
haben, dass die Gerin­nungs­werte nicht engmaschig und sorgfältig genug überwacht wurden oder die Dosis von Phenprocoumon nicht ausreichend an eine nachlassende Nierenfunktion angepasst wurde.3

Doch der Grund für Komplikationen liegt keineswegs nur bei den Ärzten. Viele wissen nämlich gar nicht, was ihre Patienten zusätzlich an Medikamenten einnehmen. Manche geben es nicht an, manche denken nicht daran, dass sie bei mehreren Ärzten parallel in Behandlung sind und noch andere Medikamente erhalten.

Besseren Schutz vor schweren Nebenwirkungen, vor allem Blutungen, bietet ein sorgfältiges Medikationsmanagement. Das beinhaltet, dass die Gerinnungshemmung regelmäßig gemessen wird – und zwar mit dem richtigen Verfahren.

Zu Beginn der Therapie mit Phenprocoumon sollte die Blutgerinnung alle ein bis zwei Tage beim Arzt anhand des sogenannten INR-Werts (mehr dazu weiter unten) überprüft werden. Die Dosis des Medikaments wird dann – falls notwendig – angepasst. Ist der INR-Wert einigermaßen stabil eingestellt, genügt in der Regel eine Messung alle zwei bis vier Wochen. Sobald sich aber an der gesundheitlichen Situation etwas ändert, muss engmaschiger kontrolliert werden. Bei Durchfall, Fieber oder Grippe zum Beispiel ist eine Messung alle zwei bis drei Tage nötig.1 (­Siehe dazu auch Kasten oben.)

Quick-Wert längst überholt

Manche Ärzte, Krankenhäuser und Patienten verwenden für die Kontrollen bis heute den sogenannten Quick-Wert.4 Der Name hat nichts mit dem englischen Wort „schnell“ zu tun, sondern mit dem US-Mediziner Armand James Quick, der das Verfahren 1935 erstmals beschrieben hat.

Der Quick-Wert ist als Maß für die Gerinnungshemmung längst überholt. Organisationen wie die Deutsche Herzstiftung warnen seit Jahren davor, sich bei der Gerinnungskontrolle darauf zu stützen. Der Grund: Je nach Labor liefert der Quick-Test bei ein und demselben Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt mitunter sehr unterschiedliche Werte und zeigt damit unterschiedliche Intensitäten der Gerinnungshemmung an.

Das liegt daran, dass der Quick-Wert von der Art und der Charge einer für den Test eingesetzten Substanz namens Thromboplastin abhängt. Da verschiedene Praxen und Krankenhäuser unterschiedliche Thromboplastine verwenden, werden jeweils auch unterschiedliche Werte gemessen. Ein bestimmter Quick-Wert kann daher eine ganz unterschiedliche Intensität der Gerinnungshemmung anzeigen, je nachdem, welches Thromboplastin zur Bestimmung verwendet wurde. Dadurch kann er Ärzte zu falschen Schlüssen und damit zu einer gefährlichen Über- oder Unterdosierung der gerinnungshemmenden Medikamente führen. Die Folgen für den Patienten können gefährliche Blutungen sein.

INR-Wert zuverlässiger Maßstab

Um dieses Problem zu beheben, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 1983 die Tests standardisiert und den sogenannten INR-Wert (International Normalized Ratio) eingeführt, der Gerinnungswerte laborübergreifend vergleichbar macht.5 Er wird ermittelt, indem man den in einem Labor gemessenen Quick-Wert anhand von Tabellen umrechnet, wobei die jeweils verwendete Thromboplastin-Lösung berücksichtigt wird. Damit ist es heute jedem Labor möglich, neben dem Quick-Wert auch die INR anzugeben.

Medizinische Fachgesellschaften empfehlen weltweit, ausschließlich den INR-Wert zu verwenden.6 Denn nur er ermöglicht eine zuverlässige, allgemeingültige und vergleichbare Kontrolle der Gerinnungswerte. Warum manche Ärzte in Deutschland immer noch den überholten Quick-Wert nutzen, ist unverständlich. Zur eigenen Sicherheit sollten Marcumar®-Patienten stets auf der Angabe des INR-Werts bestehen.

Neue Gerinnungshemmer nicht besser
GPSP 4/2015, S. 25

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2018 / S.08