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© korionov/iStockphoto.com

Gegenmittel zugelassen – jetzt alles gut?

Antidote für neuere Gerinnungshemmer

Schon mehrfach hat GPSP über die neuen direkten oralen Antikoagulanzien – kurz DOAK – berichtet. Eines der Bedenken war das Fehlen von Gegenmitteln für den Fall gefährlicher Blutungen. Diese sind nun erhältlich. Befriedigend gelöst ist das Problem damit aber leider noch nicht.

Antikoagulanzien, im Volksmund gerne auch als „Blutverdünner“ bezeichnet, sind effektive Medikamente, um in Risikosituationen wie bestimmten Herzrhythmusstörungen gefährlichen Blutgerinnseln vorzubeugen. Zum jahrzehntelangen Behandlungsstandard gehört Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®). Seit einigen Jahren gibt es eine neue Klasse von Gerinnungshemmern, sogenannte DOAK. GPSP berichtete dazu mehrfach kritisch.

Zu unseren Bedenken gehörte, dass im Fall schwerer Blutungen, die eine typische Nebenwirkung von DOAKs sind, bisher keine Gegenmittel (Antidote) vorhanden waren, um die Blutung schneller zum Stillstand zu bringen. Dasselbe gilt bei Verletzungen oder ungeplanten dringenden Operationen. Bei Phenprocoumon hingegen war schon immer ein solches Antidot verfügbar: Durch Gabe von Vitamin K wird seine gerinnungshemmende Wirkung schnell aufgehoben.1

Gegenmittel in Sicht

Dieser Mangel scheint nun behoben. Mit Andexanet alfa (Ondexxya®) steht seit Kurzem ein Gegenmittel gegen die DOAK Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) zur Verfügung.

Schon früher war mit Idarucizumab (Praxbind®) ein Antidot spezifisch für das DOAK Dabigatran (Pradaxa®) zugelassen worden. Das klingt erst einmal gut und beruhigend für die Patienten, denn die Einnahme von Antikoagulanzien ist immer mit der – berechtigten – Angst vor Blutungen verbunden. Warum sind wir dennoch erst einmal zurückhaltend in der Bewertung und schon gar nicht begeistert?

Dickes Minus für Zulassungsstudien

An der bisher einzigen Patientenstudie für Andexanet alfa sind deutliche Schwächen zu bemängeln.2 So wurde sie ohne Kontrollgruppe durchgeführt. Man weiß also nicht, wie es den Patienten ohne das Antidot ergangen wäre. Die Intensivmedizin hat mit verschiedenen Blutersatzprodukten durchaus Mittel zur Verfügung, um starke Blutungen zu bekämpfen. Diese führen zu ähnlichen Erfolgsraten in der Blutungsstillung wie in der genannten Patientenstudie, sodass die absolute Effektstärke von Andexanet alfa eher enttäuschend erscheint. Hierzu passt die schwer zu verstehende Beobachtung, dass der bei den Studienpatienten festgestellte Rückgang der Blutungen nicht mit den im Labor gemessenen Gerinnungswerten korrelierte. Einen solchen direkten Zusammenhang würde man erwarten, wenn das Antidot hauptursächlich für das Stoppen der Blutung verantwortlich wäre.3

Außerdem wurden während der laufenden Studie mehrfach Details im Studienplan geändert, was die Interpretation der Daten weiter erschwert. Die Zulassung für Blutungen unter Rivaroxaban und Apixaban wurde von den Behörden erst nach mehrfachen Rückfragen zur Sicherheit erteilt und aufgrund der unbefriedigenden Datenlage an die Bedingung geknüpft, dass der Hersteller des Antidots bis 2023 eine weitere Studie mit einer Kontrollgruppe vorlegen muss.4 Diese lange Zeitspanne ist angesichts der kurzen Behandlungs- und Beobachtungszeit bei Blutungsepisoden zu großzügig und wenig nachvollziehbar.

Und die anderen DOAK?

Auch Patienten, die unter dem vierten in Deutschland verfügbaren DOAK Edoxaban Blutungen erlitten, wurden in die beschriebene Patientenstudie aufgenommen. Es waren aber zu wenige, um sichere Aussagen zu Wirksamkeit und Sicherheit treffen zu können. Daher wurde Andexanet alfa für Blutungen unter Edoxaban gar nicht zugelassen.

Die Datenlage zum Dabigatran-Gegenmittel Idarucizumab (Praxbind®) ist ähnlich unbefriedigend: auch hier nur eine Studie an Patienten,5 auch diese ohne Kontrollgruppe durchgeführt. Es kam zur erwarteten Normalisierung der Gerinnungswerte im Labor, bei den Patienten mit Blutungen wurden Verringerungen und Stopp dieser Blutungen gesehen. Aber auch hier bleibt aufgrund vieler methodischer Schwächen unklar, wieviel das Antidot letztlich zum klinischen Verlauf beiträgt.6

Zu viele offene Fragen

Die Einführung der Gegenmittel für die DOAK ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch gelöst ist das Problem keineswegs. Es bestehen noch zu viele Unklarheiten, um den therapeutischen Nutzen der Antidote sicher bewerten zu können. Die DOAK haben in diesem wichtigen Punkt keineswegs mit Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®) gleichgezogen, wie die Werbung den Ärzten in den Fachzeitschriften glauben machen möchte.

Für die allermeisten Menschen, die einen Gerinnungshemmer benötigen, ist das bewährte Standardmedikament Phenprocoumon weiterhin erste Wahl. Wenn ein Gerinnungshemmer nur kurze Zeit eingenommen wird, sind DOAKs mit weniger Kontrollaufwand verbunden. Ansonsten können sie infrage kommen, wenn die Behandlung mit Phen­procoumon aus medizinischen oder organisatorischen Gründen schwierig oder nicht möglich ist.7

DOAK (NOAK)
GPSP 6/2013, S. 4
GPSP 3/2014, S. 6
GPSP 4/2015, S. 25

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2020 / S.25