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Blöd im Kopf?

Hinter den Fassaden einer Werbeanzeige

Das ist nicht neu: Auf allen medialen Kanälen prasselt Werbung auf uns ein, die einen gesundheitlichen Nutzen von Produkten verspricht, bei denen es sich nicht um geprüfte Arzneimittel handelt. GPSP ist auf eine Anzeige gestoßen, die nicht nur mit dubiosen Aussagen arbeitet, sondern bei genauem Hinsehen offenbart: Es geht vor allem ums große Geld.

In mehreren Zeitschriften erschien im November 2014 eine reißerische Anzeige für das Produkt Synervit. Es enthält die Vitamine B6, B12 und Folsäure, also nichts, was nicht auch andere Produkte und die Nahrung enthalten. Die Überschrift „Wer heute noch blöd im Kopf wird, ist selber schuld“ erweckt den Eindruck, Synervit schütze vor Demenz. Der aggressive Ton erinnert an die Werbung einer großen Elektronikkette. Aber hier geht es nicht um ein technisches Gerät, sondern um die Angst älterer Menschen vor einem nachlassenden Gedächtnis oder vor Demenz. Wie perfide die Anzeige ist, verdeutlicht folgende Textpassage.

© Thomas Kunz

Werbeverbot

„Es ist verboten, mit wissenschaftlichen Aussagen zu werben.“ Das beklagen die Werbetexter. Doch diese gesetzliche Vorschrift wurde genau zu dem Zweck erlassen, Verbraucher vor unwahren Gesundheitsversprechungen zu schützen. Dass ausgerechnet die Synervit-Reklame darauf hinweist, ist kurios und ziemlich gewieft. Denn ein Gericht hat 2006 einem Anbieter von Synervit verboten, mit irgendeinem Nutzen seines Produkts bei bestimmten Krankheiten zu werben. Der Anbieter ging in Berufung und verlor – das krankheitsbezogene Werbeverbot war damit rechtswirksam.1

Dass Vitaminmischungen à la Synervit Demenz verhindern können, ist wissenschaftlich nicht belegt. Die Macher der Synervit-Webseite2 argumentieren bis heute, dass die Vitamine in dem Produkt den Homocystein-Spiegel senken. Homocystein kommt natürlicherweise im menschlichen Körper vor. Ein erhöhter Wert wird für alle möglichen Erkrankungen und Beschwerden verantwortlich gemacht. Als Gegenmittel preisen die Händler Kombinationen verschiedener ­B-Vitamine an. Aber einen Nachweis des Nutzens sucht man vergeblich. Der Verweis auf ein „Homocystein-Netzwerk“3 soll wohl Seriosität vorspiegeln – wer daran beteiligt ist, ist auf der Webseite jedoch nicht ersichtlich. Allerdings stammen alle dort empfohlenen Bücher von Uwe Karstädt, einem umstrittenen Heilpraktiker.

Wissenschaftlichkeit soll wohl auch der Verweis auf ein „Homocystein Expert Panel“ an der Universität Homburg/Saar belegen.4 Aber dass hier einige Experten (firmenfinanziert) zusammenkommen, um die Bedeutung von Homocystein zu erforschen, ist noch lange kein Beleg für eine Wirksamkeit des Produktes.

Hintermänner

Anbieter der Vitaminmischung ist die Firma Synervit Ltd., die in Großbritannien registriert ist. Es gibt zwei Direktoren:6 den Österreicher Sepp Hatzel – angeblich mit Wohnsitz auf den Philippinen – und den Deutschen Hans-Jürgen Raabe von der Raabe Vermögensverwaltungs GmbH mit Sitz im österreichischen Salzburg.7

Hans-Jürgen Raabe ist kein Unbekannter, wenn es um die Vermarktung dubioser Produkte geht.8 1995 bezeichnete das Magazin Spiegel ihn als „von der Industrie so geschätzten Schleichwerber“.9 Der Autor mehrerer Gesundheitsbücher arbeitete seinerzeit als Journalist – erst bei der Zeitschrift Bunte und später bei der Bild-Zeitung. Dort „dichtete er Präparaten und Produkten […] verblüffende Heilkräfte an“, die er in der Bild-Zeitung „vorzugsweise auf der ersten Seite“ platzierte. Dafür wurde er von den Firmen gut bezahlt, und zwar entsprechend der Umsatzsteigerung, die nach der Publikation seiner Artikel folgte. Für „Gefälligkeitsartikel in der Bunte“ habe er „zehn Prozent Umsatzprovision erhalten, etwa 1,3 Millionen Mark“, berichtete seinerzeit der Spiegel.

Ein weiterer Skandal folgte 2001: Mit unseriösen Heilsversprechungen bewarb das Unternehmen Brench Pharma, sein Produkt Polytamin als „Pille gegen Hörschwäche“. Vorstand von Brench Pharma: Hans-Jürgen Raabe. Die Fachpresse warnte vor der kuriosen Mischung aus Vitaminen und Mineralstoffen.10 Auch damals wollte der Anbieter wissenschaftliche Seriosität verbreiten und verwies auf eine Studie der Universität Hamburg. Der zitierte Wissenschaftler distanzierte sich von dieser Vereinnahmung.11

Inzwischen tritt Raabe öffentlich vor allem als Fotograf in Erscheinung.12

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2015 / S.12