Nahrungsergänzung: Auf eigene Faust
Pillen, Kräuter und Co., die Sie sich sparen können
Wenn die Jugend schwindet, möchte man der eigenen Gesundheit gern etwas Gutes tun. Viele ältere Menschen ergänzen ihre Nahrung oder ihre vom Arzt verordneten Medikamente daher mit Mineralien, Vitaminen oder pflanzlichen Produkten. Das ist in der Regel nicht notwendig, es kann sogar riskant sein.
Der Trend ist eindeutig: Versorgte sich in den 1990er Jahren nur jeder Vierte mit Nahrungsergänzungsmitteln, war es zehn Jahre später bereits jeder Dritte.1 Telefonische Konsumentenbefragungen ergaben: Es sind vor allem Frauen, die zu solchen Produkten greifen, weil sie sich damit etwas Gutes tun wollen. Das häufigste Argument: Man wolle sichergehen, alles Wichtige zu bekommen, was der Körper braucht.
Eine kürzlich im Raum Berlin-Brandenburg durchgeführte Umfrage hat speziell das Konsumverhalten von Menschen über 70 Jahre untersucht. Dabei ergab sich ein ähnliches Bild: Ein Drittel von ihnen kaufte sich Nahrungsergänzungsmittel oder Gesundheitsprodukte pflanzlicher Herkunft.2 Meist werden sie zusätzlich zu den vom Arzt verschriebenen Arzneimitteln eingenommen, und ohne dass er davon etwas weiß.
Gut gemeint
Diese Befragung zeigt, dass Mineralien, vor allem Kalzium und Magnesium, sowie Vitamine am häufigsten gekauft werden. Fast genauso beliebt sind Tees, etwa Bronchial- oder Blasentee. Gängig sind auch andere Zubereitungsformen von Heilpflanzen, darunter Ginkgo, Baldrian und Johanniskraut. Diese drei Pflanzen können mit anderen Medikamenten Wechselwirkungen eingehen. Manche Arzneimittel wirken dann stärker oder abgeschwächt. Beides kann riskant sein.
Johanniskraut wird in der Werbung und in Ratgebern als Mittel gegen leichte und mittelschwere Depressionen empfohlen. Oft wird dann nicht gesagt, dass es zum Beispiel die Wirksamkeit von Arzneimitteln gegen Bluthochdruck schwächen kann. Gleiches gilt für Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen. Ginkgo wiederum kann die Neigung zu Blutungen verstärken.3
Wenn es dadurch zu gesundheitlichen Problemen kommt, steht die behandelnde Ärztin oder der Arzt eventuell vor einem Rätsel – denn sie wissen häufig nichts von der „Selbstmedikation“. Nicht einmal die Hälfte der Befragten hatte ihren Arzt darüber informiert.
Mehr Medikamente, mehr Risiken
Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln sind umso wahrscheinlicher, je mehr man davon nimmt. Menschen um die 60 nehmen hierzulande täglich im Schnitt zwei bis drei ärztlich verordnete Medikamente ein. Bei 80-Jährigen sind es bereits vier bis fünf Medikamente pro Tag.4 Und viele Menschen halten selbst gekaufte Vitamine, Mineralien und Pflanzenprodukte für harmlos und frei von unerwünschten Wirkungen. Nur 5 von 100 Seniorinnen oder Senioren gaben in der Befragung an, dass aus der Kombination mit Medikamenten riskante Wechselwirkungen entstehen können.
Die Autoren der Berliner Studie2 folgern daraus, dass alle Mineral- und Pflanzenprodukte von der Kasse erstattet werden sollten – dann wären die Statistiken besser und die Hausärzte besser informiert. Diese Forderung verwundert insofern nicht, als die Studie von der Carstens-Stiftung finanziert wurde – und die möchte erklärtermaßen die Alternativmedizin fördern. Untersuchungen zur Verbreitung von Nahrungsergänzungen und Selbstmedikation sind zweifelsohne wichtig. Aber noch wichtiger sind ordentliche Nutzenbelege für solche selbstgekauften „Gesundheitsmittel“ – und die fehlen. GPSP hält solche Produkte für verzichtbar5 und schließt sich keinesfalls den Schlussfolgerungen dieser Studie an.
Unser Fazit: Der Nutzen der Vitaminmischungen, pflanzlichen Pillen und Pülverchen ist oft unklar. Besorgen Sie sich daher keine Zusatzmittel auf eigene Faust. Auch nicht, wenn Bekannte davon schwärmen oder die Werbung Lobeshymnen singt. Sie gehen so keine unnötigen Risiken ein und sparen auch noch Geld. Auf der sicheren Seite sind Sie allemal, wenn Sie Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin nicht verheimlichen, welche zusätzlich gekauften Produkte Sie benutzen.
Stand: 1. August 2014 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2014 / S.11