Testosteronmangel?
Zu Patienten gemacht
Immer häufiger wird – vor allem älteren – Männern suggeriert, sie hätten einen Mangel am Hormon Testosteron. Ein niedriger Testosteronspiegel wird zur Krankheit erklärt. Zweifelhafte Webseiten interpretieren eine Vielfalt körperlicher Symptome als Testosteronmangel. Diese können aber unterschiedlichste Ursachen haben (GPSP 5/2008 S. 16).
Nicht nur die Modebranche hat Männer als Kunden ausgemacht, auch die Gesundheits- und Pharma- Industrie hat sie entdeckt. Sie bietet auf Webseiten diverse Tests an, um den Body-Mass-Index zu checken, die körperliche Fitness oder die Zuverlässigkeit der Erektion. Weil jegliche Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Verbrauchern verboten ist, lassen sich die Anbieter von Lifestyle-Präparaten einiges einfallen. Dazu gehören online-Fragebögen. Sie fragen nicht nur ein Problem ab, sondern lenken die Aufmerksamkeit auch auf eine angebliche Lösung. Kein Wunder, dass solche Fragebögen meist in eine Empfehlung zum Arztbesuch münden.1 Sie suggerieren so einen krankhaften Mangel, den es zu beheben gelte.2
Hoffentlich kann der Arzt oder die Ärztin einem Mann in den „besten Jahren“ – mit altersgemäß natürlich geringerem Testosteronspiegel als sein 20-jähriger Sohn – dann klar machen, dass er weder krank ist noch Testosteron braucht. Denn Webseiten für Männer weisen oft nicht darauf hin, dass die Testosteronwerte im Blut individuell sehr unterschiedlich hoch sind (ohne Einfluss auf Erektions- und Zeugungsfähigkeit) und dass angesichts der Risiken von Prostatakrebs, Bluthochdruck und Herzschwäche3 eine Verordnung von Testosteron als Arzneimittel, egal in welcher Form, nur in ganz seltenen medizinisch begründeten Situationen gerechtfertigt ist. Es ist sicher kein Zufall, dass Anbieter von Testosteronpräparaten Webseiten mit entsprechenden Tests im Internet haben. Wir sehen darin eine verkappte Werbung für verschreibungspflichtige Hormone.
Doch nicht nur bei uns sehen die zuständigen Behörden keinen Handlungsbedarf, auch in Kanada wurde eine Anzeige kritischer Wissenschaftler abgeschmettert.4 Obwohl die Experten zu Recht anmerken, dass Folgen eines angeblichen Testosterondefizits wie Depressionen und mangelnde sexuelle Befriedigung durch die Einnahme des Hormons keineswegs besser werden.
Stand: 1. April 2012 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2012 / S.07