Arzneimittel in der Schwangerschaft
Weniger ist besser
Schwangerschaft und Arzneimittel – passt das zusammen? Frauen wollen ein gesundes Kind bekommen und verhindern, dass das Ungeborene geschädigt wird. Wie aber sollen sich Schwangere verhalten, wenn sie krank werden? Was sollen sie tun, wenn sie wegen einer chronischen Erkrankung auf Medikamente angewiesen sind?
Damit sich ein Kind im Mutterleib gut entwickeln kann, braucht es in der Gebärmutter optimale Bedingungen. Dazu gehört beispielsweise, dass sich die Mutter ausreichend und abwechslungsreich ernährt und ihre Erkrankungen behandelt werden. Schädigende Einflüsse auf das Ungeborene müssen soweit wie möglich verhindert werden. Dazu zählen auch Genussgifte wie Alkohol und Tabak, die hierzulande während der Schwangerschaft weitaus mehr Kinder schädigen als Arzneimittel.a
Manchmal benötigt die Mutter während der Schwangerschaft Medikamente, weil sie für das werdende Kind lebensnotwendig sind. So hat es die Behandlung mit Insulin erst möglich gemacht, dass Frauen trotz erhöhtem Blutzucker (Diabetes mellitus) gesunde Kinder bekommen. Andere Arzneimittel wiederum können das Ungeborene schädigen. Welche das sind, ist nicht so leicht zu erfassen: Arzneimitteltests mit Schwangeren verbieten sich. Daher wird auf verschiedenen anderen Wegen versucht zu erforschen, ob ein Arzneimittel dem Ungeborenen schaden kann.
Studien mit trächtigen Tieren, deren Nachkommen später auf Schädigungen untersucht werden, lassen beispielsweise mit einiger Zuverlässigkeit erkennen, ob ein Arzneimittel für das Ungeborene gefährlich sein kann. Wie hoch dieses Risiko beim Menschen aber tatsächlich ist, lässt sich aus Tierversuchen nicht ablesen. Viele Erkenntnisse stammen aus den Erfahrungen von Frauen, die Arzneimittel eingenommen haben, ohne zu wissen, dass sie schwanger waren.
Hilfreiche Erfahrungen
Wertet man die Erfahrungen mit der Einnahme von Arzneimitteln in der Schwangerschaft systematisch aus, kann dies wichtige Erkenntnisse liefern. So warnte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA im Dezember 2005 vor Paroxetin (Seroxat® u.a.) in der Schwangerschaft. Dieses Antidepressivum ist bereits seit Anfang der 90er Jahre im Handel. Neue Auswertungen haben ergeben, dass Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Paroxetin eingenommen hatten, etwa doppelt so häufig mit Fehlbildungen zur Welt kamen wie Kinder, deren Mütter mit einem anderen Antidepressivum behandelt wurden.b Überwiegend positiv verlaufen sind die Erfahrungen mit den heute gebräuchlichen niedrig dosierten empfängnisverhütenden Mitteln. Sie werden häufig versehentlich in der Frühschwangerschaft eingenommen. Von solchen Einnahmefehlern lässt sich ableiten, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit kein nennenswertes Risiko für das Ungeborene bedeuten.c
Andere Medikamente können das werdende Kind hingegen beträchtlich schädigen (siehe Kasten). Besonders gefährlich sind die Retinoide Acitretin (Neotigason®) und Isotretinoin (Roaccutan® u.a.), die zur Behandlung schwerster Formen von Schuppenflechte und Akne verordnet werden. Da ihre besonderen Risiken jedoch vor Markteinführung durch Tierversuche erkannt worden sind, wurden drastische Anwendungsbeschränkungen angeordnet. Dazu gehört, dass Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, solche Arzneimittel nicht einnehmen dürfen – oder nur im Ausnahmefall, wenn eine zuverlässige Empfängnisverhütung garantiert ist.
Alle Rückschlüsse aus Erfahrungen bergen jedoch Unsicherheiten. Das trifft insbesondere dann zu, wenn keine Hinweise auf Schädigungen aufgefallen sind, aber die Erfahrung mit einem Mittel insgesamt nur gering ist. Das gilt auch, wenn Tierversuche keine Hinweise auf Schädigungen ergeben haben. Im Umkehrschluss kann nämlich nicht gefolgert werden, dass solche Arzneimittel tatsächlich ohne Gefahr für das Ungeborene sind.
Was tun?
Einige Grundregeln helfen, Risiken zu vermeiden.
Bei Kinderwunsch und regelmäßiger Medikamenteneinnahme: frühzeitig aktiv werden
Manche Erkrankungen, wie erhöhter Blutzucker, Bluthochdruck, Schilddrüsenunterfunktion oder Epilepsie, müssen auch während einer Schwangerschaft mit Medikamenten behandelt werden. Würde die Therapie abgebrochen, könnte dies die Mutter und das werdende Kind gefährden. In solchen Situationen ist es besonders wichtig vorauszuplanen. Frauen, die regelmäßig Arzneimittel einnehmen und sich ein Kind wünschen, sollten frühzeitig mit ihrem Arzt darüber reden. Vielleicht kann die Therapie in gewohnter Form beibehalten werden. Bisweilen empfiehlt es sich jedoch frühzeitig vor einer Schwangerschaft, die Behandlung vorsichtshalber auf Arzneimittel mit dem geringsten Risiko umzustellen. Günstig ist es, wenn Ihr Arzt mit Ihnen zusammen die Therapie auf möglichst wenige und bewährte Arzneimittel in möglichst niedriger Dosierung beschränkt. Auch Behandlungsmöglichkeiten ohne Arzneimittel sind in Betracht zu ziehen.
Beispiele für ausreichend erprobte Medikamente
Wenn Sie in der Schwangerschaft Medikamente verschrieben bekommen oder in der Apotheke kaufen, weisen Sie Arzt oder Apotheker auf alle Fälle darauf hin, dass Sie schwanger sind.a,c
Allergie: Clemastin, Dimetinden
Bakterielle Infektionen: Penicilline*, Cephalosporine*
Husten: Codein* (jedoch nicht geeignet kurz vor der Entbindung)
Magenschleimhautentzündung: Antazida
Schmerzen: Paracetamol
Starke Schmerzen: Paracetamol + Codein* (jedoch nicht geeignet kurz vor der Entbindung)
Schwangerschaftserbrechen: Meclozin*
Zuckerkrankheit: Humaninsulin*
Arzt und Apotheker informieren
Sind Sie gerade schwanger geworden und in medizinischer Behandlung, ist es wichtig, dass Sie Ihren Arzt möglichst rasch darüber informieren. Fragen Sie nach, ob die bisherige Therapie beibehalten werden kann oder jetzt geändert werden sollte. Wenn Sie sich selbst Arzneimittel kaufen, fragen Sie in der Apotheke grundsätzlich nach, ob diese für Schwangere geeignet sind.
So wenig Medikamente wie möglich
Insgesamt nehmen schwangere Frauen erstaunlich häufig Arzneimittel ein, durchschnittlich drei bis acht verschiedene.c Manche hat ein Arzt verordnet, andere sind selbst gekauft. Am einfachsten schützen Sie sich vor unerwünschten Folgen, wenn Sie auf Medikamente verzichten, die nicht unbedingt erforderlich sind. Dies trifft oft auf selbst besorgte Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel zu. Auch pflanzliche Mittel, die beispielsweise zur „Stützung“ des Immunsystems oder als Abführmittel eingenommen werden, sind meist entbehrlich. Nahrungsergänzungsmittel können Bestandteile enthalten, die hierzulande wenig gebräuchlich und unzureichend erforscht sind (siehe Seite 11).
Vorsicht Internet
Von Präparaten, die über das Internet aus nicht genau bekannten Quellen bezogen werden können, ist besonders in der Schwangerschaft abzuraten. Auffällig häufig sind sie mit Schadstoffen belastet oder sie enthalten sogar stark wirkende Stoffe, die nicht auf der Packung angegeben sind (siehe auch Warnung auf Seite 11 und GPSP 2/2005, Seite 4).
Bewährte Arzneimittel vorziehen
In der Schwangerschaft empfiehlt es sich, grundsätzlich solche Arzneimittel vorzuziehen, die schon seit Jahrzehnten im Handel sind und bei denen dennoch keine besonderen Gefahren für das werdende Kind oder die Mutter aufgefallen sind. Denn gerade bei neueren Arzneimitteln ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Risiken noch nicht erkannt worden sind. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt oder Apotheker beraten.
Was tun bei versehentlicher Einnahme trotz Schwangerschaft?
Je später eine Schwangerschaft festgestellt wird, desto größer ist die Furcht, dass regelmäßig oder ab und zu eingenommene Arzneimittel das werdende Kind bereits geschädigt haben könnten. Wenn dann auch noch im Beipackzettel steht, dass das Arzneimittel in der Schwangerschaft nicht verwendet werden darf, ist die Sorge besonders groß. In einer solchen Situation sollten Sie Ihre Befürchtungen rasch mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt besprechen. Sie können dann auf der Basis von Erfahrungen und der vorhandenen Literatur abschätzen, ob ein negativer Einfluss auf das werdende Kind möglich erscheint oder unwahrscheinlich ist. Ärzte können sich auch von spezialisierten Zentren beraten lassen, wie der Beratungsstelle für Embryonaltoxikologie in Berlin.d Dort laufen die neuesten Erkenntnisse zusammen und können dort abgerufen werden. Vielleicht ist es für Sie beruhigend zu erfahren, dass es nach dem Kenntnisstand dieser spezialisierten Beratungsstellen – abgesehen von wenigen Arzneimitteln wie den Retinoiden – kaum ein Medikament gibt, dessen Einnahme den Abbruch einer Schwangerschaft rechtfertigen würde.
Die Rolle des Vaters
In diesem Bereich gibt es noch besonders große Kenntnislücken. Wenn Männer mit Krebsmitteln (Zytostatika) behandelt werden, ist eine Schädigung des werdenden Kindes zumindest theoretisch denkbar. Als Vorsichtsmaßnahme gilt daher generell, dass Männer während einer Krebstherapie mit Zytostatika und – abhängig von den verwendeten Arzneimitteln – auch noch einige Monate danach kein Kind zeugen sollten. Der Mann sollte Kondome verwenden und die Frau zusätzlich für Verhütung sorgen.
Contergan und die Folgen
Vor 50 Jahren bekamen tausende Frauen Kinder mit verkürzten Gliedmaßen und anderen Fehlbildungen. Sie hatten in der Schwangerschaft das als harmlos bezeichnete Schlafmittel Thalidomid (Contergan®) eingenommen. Diese Arzneimittelkatastrophe offenbarte, dass die Sicherheitsbestimmungen im Arzneimittelbereich völlig unzureichend waren. Damals wurden in Deutschland Medikamente von den Behörden noch nicht geprüft.
Erst nach dem Contergan-Desaster wurden weltweit Arzneimittelgesetze erlassen oder verschärft, um Ähnliches zu verhindern. Obwohl inzwischen unzählige neue Arzneimittel auf den Markt gekommen sind, gab es seither keine derartigen Arzneimittelkatastrophen mehr, zumindest was die Folgen der Behandlung mit Arzneimitteln in der Schwangerschaft angeht.
Auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen um Contergan® haben Geschichte geschrieben. Zwar gab es keine Verurteilungen, da hierfür die gesetzliche Grundlage fehlte. Doch ist der Contergan-Einstellungsbeschluss des Landgerichts Aachen auch heute noch richtungsweisend, wenn der Verdacht besteht, dass Medikamente besondere schädigende Wirkungen haben. Das Gericht erachtete es grundsätzlich für erforderlich, dass der Arzneimittelhersteller bereits bei Verdacht auf Schädigungen handeln und Maßnahmen zur Risikoabwehr treffen muss. Und zwar umso eher, je schwerer die möglicherweise arzneibedingten Schäden sind, je häufiger diese auftreten und je leichter ersetzbar die Produkte sind.a
a Landgericht Aachen: Contergan-Einstellungsbeschluss vom 18. Dez. 1970
b FDA: Public Health Advisory Paroxetine, 8. Dez. 2005; www.fda.gov/cder/drug/advisory/paroxetine200512.htm
c Schaefer, C., Spielmann, H. (Hrsg.): „Arzneimittelverordnung in Schwangerschaft und Stillzeit”, 6. erw. Aufl., Urban & Fischer, München – Jena 2001
d www.embryotox.de
Stand: 1. April 2006 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2006 / S.06
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