Privatpatienten im Vorteil … oder ausgenutzt?
Dass privat Versicherte schneller einen Termin beim Facharzt oder für geplante Operationen bekommen, ist kein Geheimnis. Doch werden Privatpatienten auch besser behandelt? Gibt es eine Zweiklassenmedizin?
In Deutschland gibt es, wie in fast allen Industrieländern, neben der staatlich organisierten Krankheitsversorgung die Möglichkeit, eine private Versicherung (PKV) für den Krankheits- oder Pflegefall abzuschließen. Im Jahr 2014 waren mit knapp 9 Millionen rund 11 Prozent aller Versicherten in Deutschland privat krankenversichert. Außerdem haben nicht wenige gesetzlich Versicherte private Zusatzversicherungen abgeschlossen.
Während solche ergänzenden Versicherungen keinen Beschränkungen unterliegen, kann sich nicht jeder in Deutschland privat versichern. Dies ist Beamten, Richtern und anderen Personen mit Anspruch auf staatliche Beihilfe sowie Selbstständigen und Freiberuflern vorbehalten. Arbeiter, Angestellte und freiberuflich tätige Künstler und Journalisten können sich erst ab einem bestimmten Bruttoeinkommen (2015: 54.900 €) von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) befreien lassen.
PKV: Mit den Jahren wird’s teuer
Der eingangs genannte Vorteil der schnelleren Terminangebote liegt in erster Linie daran, dass Ärzte und Krankenhäuser für ein und dieselbe Leistung sehr viel mehr Geld erhalten, wenn der Patient oder die Patientin privat versichert ist.
Unter bestimmten Bedingungen können die PKV-Beiträge sogar deutlich günstiger ausfallen als bei GKV-Versicherten. Dies trifft vor allem bei Gutverdienenden im jüngeren Alter zu – im Renten- oder Pensionsalter sieht das dann in der Regel ganz anders aus. Denn mit den Jahren steigt der PKV-Beitrag. Er kann letztlich den GKV-Beitrag erheblich übersteigen und so manchen Pensionär in finanzielle Bedrängnis bringen. Vor allem: Ein Zurück in die GKV ist fast unmöglich. Unlängst hat die Politik daher den PKV-Basistarif eingeführt und so den Versuch unternommen, solche Nöte nicht existenziell werden zu lassen. In diesem Tarif entsprechen die Leistungen in etwa dem Leistungsumfang der GKV. Häufig finden sich im PKV-Tarifdschungel ein und derselben Gesellschaft allerdings günstigere Vertragsmöglichkeiten, zum Beispiel durch Selbstbeteiligungen. Es ist also von Fall zu Fall genau zu prüfen, was am günstigsten ist.
In der GKV auf der sicheren Seite
Ein Vergleich der Leistungen von PKV und GKV ist ein ganz anderes Thema. Viele Medikamente oder ärztliche Leistungen, die GKV-Patienten nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen, werden von der PKV nach wie vor übernommen. Und obwohl auch die PKV durchaus nicht mehr alles erstattet, ist ihr Leistungsumfang immer noch deutlich größer als in der GKV.
Ob das allerdings im Krankheitsfall ein Vorteil ist, darf gut und gerne bezweifelt werden. Denn über den Leistungsumfang der GKV wacht der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA); (GPSP 2/2015, S. 6). Dieses höchste Gremium der Selbstverwaltung von Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern entscheidet darüber, welche Leistungen die etwa 70 Millionen GKV-Versicherten beanspruchen können. Der G-BA wird dabei durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, unterstützt. Das wissenschaftliche Institut begutachtet und vergleicht medizinische Maßnahmen kritisch.
Die Arbeit des G-BA soll sicherstellen, dass GKV-Versicherten die qualitativ beste Versorgung im Krankheitsfall erhalten. Denn wie GPSP-Leserinnen und -Leser wissen, verfügt zum Beispiel nur ein sehr kleiner Teil der neu eingeführten Arzneimittel über relevante Vorteile gegenüber den vorhandenen Behandlungsoptionen, öfter sogar Nachteile (GPSP 6/2011, S. 10). Darum kann es also von Vorteil sein, wenn GKV-Patienten ein neues Präparat „vorenthalten“ wird.
„Da müssen wir mal ran….“
Ein noch dunkleres Kapitel ist die so genannte Überversorgung. Damit sind medizinische Therapien oder Diagnoseverfahren gemeint, die der Patientin oder dem Patienten keinen Nutzen bringen – oder sogar schaden. Seit Jahren stehen beispielsweise die vielen Herzkatheter-Untersuchungen in der Kritik, ebenso die zahlreichen Knie- und Wirbelsäulen-Operationen. Solche Eingriffe werden in Deutschland viel häufiger durchgeführt als in anderen Ländern, ohne dass es Patienten dadurch besser geht. Dass PKV-Versicherte besonders gefährdet sind, unnötigen medizinischen Maßnahmen ausgesetzt zu werden, liegt angesichts der deutlich höheren Vergütung für Ärzte und Krankenhäuser auf der Hand. Die GKV – flankiert von den Kontrollinstanzen G-BA und IQWiG – kann dagegen vor unnötigen diagnostischen Maßnahmen und Eingriffen schützen.
Wie sieht es also aus mit der Zweiklassenmedizin? Im Prinzip gibt es sie. Aber dass Sie in der ersten Klasse besser versorgt sind als in der zweiten Klasse, muss stark bezweifelt werden.
Stand: 6. Mai 2015 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2015 / S.17