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© BilderBox.com; Erwin Wodicka

Mit Medikamenten gegen die Glatze?

Haarwuchsmittel Propecia®

Viele Männer leiden unter dem Verlust ihrer Kopfhaare. So sind sie bereit, viel Geld für Haarwässerchen und verschiedene Tabletten auf den Tisch zu legen. Der Markt bietet auch verschreibungspflichtige Arzneimittel. Doch welche Risiken haben die Behandlungen? Das bekannte Produkt Propecia® zeigt, wie aus einem Medikament gegen Prostata-Beschwerden ein zweifelhaftes Lifestyle-Medikament wurde.

Das Haarwuchsmittel Propecia® enthält den Wirkstoff Finasterid, der in den Hormonhaushalt des Körpers eingreift. Bei Männern wird in den Hoden das männliche Hormon Testosteron produziert. Dieses wird durch ein Enzym (Alphareduktase) in seine aktive Wirkform Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt. DHT soll auch für den Haarausfall beim Mann mitverantwortlich sein. Der Wirkstoff Finasterid bremst das Enzym und hemmt so diese Umwandlung.

Wirkung auf Prostata und Haarwuchs

Das Enzym Alphareduktase ist unter anderem in der Vorsteherdrüse (Prostata) und in den Wurzeln von Haaren aktiv, deren Wachstum durch männliche Hormone gefördert (z.B. Bart, Brust, Bauch) oder gehemmt (Kopfhaar im Scheitelbereich) wird. Der Effekt der Hormone auf die Scheitelhaare im Sinne einer Glatzenbildung ist erblich beeinflusst und hat nur bedingt mit der Höhe der Hormonkonzentration im Blut zu tun. Allerdings bekommen Männer mit einem erheblichen Hormonmangel keine Glatze. Die Hormone sind also eine Voraussetzung für die Glatzenbildung, aber nicht die alleinige Ursache.

Bei älteren Männern nimmt unter dem Einfluss männlicher Hormone die Größe der Vorsteherdrüse zu. Unter Finasterid schrumpft die Prostata, womit sich bei einem Teil der Männer die Beschwerden lindern lassen. Im Rahmen der klinischen Prüfung von Finasterid als Prostatamittel fiel auf, dass bei einigen der behandelten Männer die männliche Körperbehaarung zurückging, während bei Glatzenträgern die Scheitelhaare wieder etwas härter und länger wurden. Für die Firma MSD, die die Prostata-Tablette Proscar® entwickelt hatte, lag es daher nahe, sich mit einer am Kopfhaar wirkenden Neuauflage von Finasterid einen neuen Markt zu eröffnen. Die unter dem Namen Propecia® angebotenen Finasterid-Tabletten enthalten nur ein Milligramm Wirkstoff, sind aber teurer als die Prostata-Tabletten mit fünf Milligramm.

Unsere Bewertung von Propecia® weicht von der eher positiven Beurteilung des Prostata-Präparates Proscar® entschieden ab. Eine Glatzenbildung bei Männern ist keine Krankheit. Da fast alle gesunden Männer „Geheimratsecken“ bekommen und etwa 30 % eine mehr oder weniger ausgeprägte Glatze im Scheitelbereich, sind diese Merkmale allenfalls kosmetisch als nicht wünschenswert zu bezeichnen. Will ein junger Mann die Entstehung einer Glatze aufhalten, dann müsste er viele Jahre, eventuell lebenslang, das in den Hormonstoffwechsel eingreifende Medikament einnehmen. Zugelassen ist Propecia® allerdings nur für 18- bis 41-Jährige und nur bei beginnendem Haarausfall. Die anfänglich erzielte relativ geringe Zunahme der Haarmenge (im ersten Jahr durchschnittlich 10%, danach kein weiterer Zuwachs) kann nur durch kontinuierliche Einnahme des Mittels erhalten werden. Die gewonnenen Haare verschwinden wieder, wenn Finasterid abgesetzt wird, manchmal sogar unter das Ausgangsniveau. Ein Einfluss auf Geheimratsecken ist nicht nachgewiesen.

Nebenwirkungen

Der geringe kosmetische Effekt wird mit beträchtlichen Nebenwirkungen erkauft. Finasterid führt bei manchen Männern zu vermindertem sexuellem Interesse (Libido) und zu Potenzstörungen. Bei fast allen verringert es die Menge der Samenflüssigkeit, die überwiegend in der Prostata gebildet wird. Es gibt Berichte über Unfruchtbarkeit unter der Einnahme von Propecia®.1 Weiterhin entwickeln sich bei einigen Männern, die Finasterid einnehmen, Brüste wie bei einer Frau (Gynäkomastie). Solche Nebenwirkungen können vielleicht bei der Therapie von Prostatabeschwerden älterer Männer in Kauf genommen werden, nicht jedoch bei der Anwendung eines Haarwuchsmittels.

Auch bei Frauen ist Finasterid als Haarwuchsmittel untersucht worden. Es bringt ihnen aber keinen Nutzen und ist für sie nicht zugelassen. Wir warnen dringend davor, dass Frauen Propecia® einnehmen: Finasterid greift in den Hormonhaushalt ein. Kommt es unter der Einnahme zu einer Schwangerschaft, besteht die Gefahr von Fehlbildungen der äußeren Geschlechtsorgane männlicher Kinder. Der Hersteller weist sogar darauf hin, dass Frauen, die schwanger sind oder sein könnten, nicht einmal zerkleinerte oder zerbrochene Tabletten anfassen dürfen.2

  1. Glina, S., et al.: Rev. Hosp. Clin. Fac. Sao Paulo 2004, 59(4), 203
  2. MSD: Fachinformation Propecia®, Stand Dez. 2004

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2006 / S.01