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©Annika_Ucke

Globaler Handel – globales Behördenversagen

„Globaler Handel braucht globale Vernetzung der Überwachung“, so informiert das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) über eine gemeinsame Konferenz mit der EU-Kommission in Berlin. Es ging um den Online-Handel mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmittel gehören dazu.

Daher verfolgen wir mit Interesse, welche Strategien zur  „globalen Vernetzung der Überwachung“ auf der Konferenz erdacht wurden. Wie sollen also etwa Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln künftig international effektiv kontrolliert werden? Müssen weltweit agierende Handelsplattformen wie Amazon haften, wenn sie illegale Produkte vertreiben?

„Künftig sollen auch Plattformbetreiber aktiv dazu beitragen, dass gesundheitsgefährdende Produkte nicht bei den Käuferinnen und Käufern landen“,1 kündigt die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner in ihrem Grußwort an. Hierfür soll eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden, die später eine EU-Kontrollverordnung ergänzen soll. Letztere dürfte immerhin Ende des Jahres in Kraft treten.

Darüber, dass „insbesondere beim Handel mit vermeintlichen Nahrungsergänzungsmitteln aus Drittstaaten Handlungsbedarf besteht“, waren sich die Teilnehmer der Konferenz offensichtlich einig. Ihnen ist nicht entgangen, dass Händler mit krimineller Ener­gie aus Drittstaaten – also von außerhalb der EU – oft kurzfristig den Namen ihrer Firma oder ihres Produktes ändern und so europäischen Überwachungsbehörden entwischen. Nach wie vor kann GPSP allerdings keine erfolgversprechende Strategie erkennen, wie zuständige Behörden Verbraucherschutz durchsetzen wollen. In globalen Händlern wie eBay und Amazon sehen sie anscheinend sogar eher eine Lösung des Problems als dessen Ursache. Und sie verschaffen deren Worthülsen unkommentiert breiten Raum in ihrer Mitteilung zur Konferenz. Zum Beispiel: Werde in einem Land ein Produkt mit einem illegalen Wirkstoff wie Sibutramin in einem Schlankheitsmittel entdeckt, so sperre eBay – behauptet ein Repräsentant des Online-Marktplatzes – das Produkt nicht nur in diesem Land, sondern proaktiv weltweit. Und Amazon setzt nach Eigendarstellung auf intensives Monitoring durch die Käufer. Bei Häufung von negativen Kommentaren könne Amazon bestimmte Angebote sperren. – Aha! Da wäre zumindest die Information zu erwarten, ob überhaupt oder wie häufig diese US-amerikanischen Großkonzerne diese Versprechungen in Sachen Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel bislang umgesetzt haben. Fehlanzeige! Stattdessen wird in der Behördenmitteilung eine Vertreterin von Facebook zitiert, wonach heute bereits 79% der 18- bis 34-Jährigen ihr Smartphone nutzen, um in den sozialen Medien neue Lebensmittel – und wohl auch Nahrungsergänzungsmittel – „zu entdecken“.

Hauptzweck der Beteuerungen von Online-Marktplätzen dürfte wohl sein, wirksame und gerichtlich durchsetzbare behördliche Regelungen zu verhindern. Dies scheint ihnen zu gelingen. Noch nicht einmal eine gemeinsame internationale Datenbank mit gepanschten – also illegalen – Nahrungsergänzungsmitteln, die dort routinemäßig aufgenommen und öffentlich zugänglich gemacht werden, haben die Überwachungsbehörden bislang zu Stande gebracht.

In den zwei Monaten seit der letzten Ausgabe von GPSP haben wir insgesamt neun illegale Produkte aufgespürt. Mehr unter: www.gutepillen-schlechtepillen.de/heft-archiv/gepanschtes.

Mit chemischen Potenzmitteln gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Aphrodisiac Kapseln: Sildenafil
  • Bene M: Sildenafil + Lidocain
  • BMSW 4600 mg Black Ant: Sildenafil
  • Double Maxx D.B.M. Kapseln: Sildenafil
  • Kangaroo: Sildenafil
  • Magnum XXL Kapseln: Sildenafil
  • X Power 3 Tabletten: Sildenafil

Sildenafil ist der Wirkstoff des Arzneimittels Viagra® (auch in zahlreichen Generika erhältlich). Die Panscherei von Nahrungsergänzungsmitteln mit nicht deklarierten – also verheimlichten – verschreibungspflichtigen Wirkstoffen gegen Erektionsstörungen ist besonders heimtückisch und kriminell. Sie können Verbraucher erheblich gefährden. Denn manche Menschen dürfen gerade solche chemischen Erektionsförderer nicht einnehmen. Dazu gehören Herzkranke, die gleichzeitig Nitropräparate wie Isosorbiddinitrat (ISDN) oder ähnliche Arzneimittel gegen Angina pectoris benötigen (GPSP 2/2013, S. 4 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/angina-pectoris/). In Kombination mit einem chemischen Erektionsförderer wie Sildenafil kann der Blutdruck lebensbedrohlich abfallen. Vor allem wer aus medizinischen Gründen chemische Erektionsförderer meiden muss, erhofft sich jedoch möglicherweise Hilfe von den als harmlos beworbenen Nahrungsergänzungsmitteln und ist unwissentlich gefährdet, wenn er an ein gepanschtes Produkt gerät.

Lidocain ist ein Wirkstoff, der in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegen Herzrhythmusstörungen sowie beispielsweise in Injektionen zur örtlichen Betäubung oder in Lutschtabletten zur oberflächlichen Betäubung gegen Halsschmerzen enthalten ist. In einem Nahrungsergänzungsmittel hat es nichts zu suchen.

Mit mehreren chemischem Substanzen gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • JOYSMI: Sibutramin + Phenolphthalein + Furosemid
  • Make Coarser Make Bigger: Diclofenac + Glibenclamid + 2-Mercaptobenzothiazol

2-Mercaptobenzothiazol ist eine Chemikalie, die insbesondere bei der Produktion von Gummiprodukten verwendet wird. Ein therapeutischer Nutzen für den Menschen ist nicht bekannt. Im Gegenteil. Bei beruflicher Exposition mit 2-Mercaptobenzothiazol ist beim Menschen Hautausschlag bzw. Kontaktdermatitis beschrieben. Im Tierversuch hat die Substanz Krebs ausgelöst.

Diclofenac: Der als Schmerz- und Rheumamittel verwendete Entzündungshemmer Diclofenac (Voltaren®, Generika) kann jedoch unerwünschte Wirkungen auslösen. Das Schmerzmittel wird im Magen-Darm-Trakt oft schlecht vertragen und kann beispielsweise schwere Magen-Darm-Schädigungen auslösen, darunter Blutungen und Geschwüre.

Furosemid (Lasix®, Generika) ist ein starkes entwässerndes Mittel. Unerwünschte Wirkungen des verschreibungspflichtigen Diuretikums umfassen Muskelkrämpfe, Schwindel, niedrigen Blutdruck, Kopfschmerzen, Übelkeit u.a.

Glibenclamid (Generika): Durch Einnahme dieses bei Diabetes mellitus verwendeten verschreibungspflichtigen Mittels kann der Blutzucker stark sinken mit Folge von Blässe, Kopfschmerzen, Schwindel, Verwirrtheit u.a. Auch mit Beeinträchtigungen des Reaktionsvermögens ist zu rechnen.

Phenolphthalein: Die abführend wirkende Chemikalie Phenolphthalein wurde vor Jahren z.B. als Darmol® Abführschokolade verkauft. Das Abführmittel kann einen vorübergehenden Gewichtsverlust vorgaukeln, weil der Darm entleert wird. Es macht aber nicht schlank, sondern vielleicht sogar krank: Arzneimittel mit Phenolphthalein sind nämlich bereits vor vielen Jahren wegen ihres krebsauslösenden Potenzials vom Markt verschwunden. Wer langfristig ein Phenolphthalein-haltiges Mittel einnimmt, riskiert Magen-Darm-Störungen, Herzrhythmusstörungen, Krebs und andere unerwünschte Folgen.

Sibutramin war 1999 bis 2010 als verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Reductil®) im Handel. Dann musste es – längst überfällig – weltweit wegen seines Herz-Kreislauf-schädigenden Potenzials aus dem Handel gezogen werden (GPSP 2/2010, Seite 8 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/kurz-und-knapp-endlich-sibutramin-reductil-vom-markt/). Sibutramin kann den Blutdruck und die Herzschlagrate erhöhen und gefährdet vor allem Menschen mit koronarer Herzkrankheit (Angina pectoris), Herzrhythmusstörungen oder Schlaganfall in der Vorgeschichte. Es drohen Herzinfarkt, Herzstillstand, Schlaganfall u.a. Auch wenn gleichzeitig bestimmte andere Medikamente eingenommen werden, sind lebensbedrohliche Folgen möglich.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2019 / S.27