Einmal ist keinmal
Nicht nur eine, sondern alle Studien berücksichtigen
Oft ist es nicht einfach, bei medizinischen Behandlungen einen guten Überblick in Sachen Wirksamkeit zu bekommen. Hier können systematische Übersichtsarbeiten helfen, die alle relevanten Studien auswerten und zusammenfassen.
Ärgerlich: Im Supermarkt sah das Netz Kartoffeln ganz ordentlich aus und war noch dazu so günstig. Beim Auspacken zu Hause stellt sich jedoch heraus: Die Kartoffeln mittendrin haben faule Stellen. Aber die konnte man von außen nicht sehen. Alles in allem war die Packung also doch eher ein schlechtes Geschäft…
Die ganze Wahrheit
So ähnlich geht es unserem GPSP-Team manchmal auch mit Studien zu medizinischen Behandlungen oder Nahrungsergänzungsmitteln: Oft existieren zu einem Mittel mehrere Studien – aber in der Werbung werden natürlich nur die Aussagen präsentiert, die positiv ausfallen. Oder manchmal kommen Studien zur gleichen Fragestellung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Für ein umfassendes Bild ist es deshalb wichtig, die „Gesamtbilanz“ zu ziehen – also nicht nur eine einzelne Studie anzuschauen, sondern so gut es geht alle, die zu einer bestimmten Frage durchgeführt wurden. Das kann im Einzelfall aber sehr aufwendig werden. Wenn wir Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel bewerten, greifen wir deshalb bevorzugt auf Untersuchungen zurück, die genau diese Puzzle-Arbeit bereits erledigt haben: systematische Übersichtsarbeiten.
Durchkämmt die Daten!
Für eine gute systematische Übersichtsarbeit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfassend und nach festgelegten Prinzipien die gesamte verfügbare Studienlandschaft durchforstet. Sie haben auch danach gefahndet, ob es möglicherweise Untersuchungen gibt, die gar nicht veröffentlicht wurden.
Bei jeder einzelnen Studie haben sie ganz genau hingeschaut: Wie verlässlich sind eigentlich die Ergebnisse? Wurden zum Beispiel auch alle Teilnehmenden komplett bei der Auswertung berücksichtigt? Und schließlich wird in der systematischen Übersichtsarbeit noch ein Fazit gezogen.
Trotzdem genau hinschauen
Und gleichzeitig können sich selbst bei bester Absicht der Autorinnen und Autoren in diesem komplexen Prozess Verzerrungen einschleichen. Deshalb schauen wir uns auch systematische Übersichtsarbeiten genau an: War die Suche nach Studien so umfassend, dass wahrscheinlich nichts Wichtiges übersehen wurde? Gab es vorher festgelegte Kriterien für die Berücksichtigung und Bewertung von Studien? Sind die Angaben doppelt überprüft worden und nachvollziehbar? Und ist die Interpretation der Daten realistisch?
Fallstricke erkennen
Manchmal gibt es auch noch ganz andere Probleme: Etwa dann, wenn der Hersteller eines bestimmten Mittels die systematische Übersichtsarbeit finanziert hat. Dann besteht die Gefahr, dass die Gesamtbilanz doch nicht ganz so unabhängig ist und möglicherweise positiver ausfällt, als sie in Wirklichkeit ist. Auch mangelnde Aktualität macht uns manchmal zu schaffen, also wenn die systematische Übersichtsarbeit schon etwas angestaubt ist. Denn neuere Studien kommen möglicherweise zu anderen Ergebnissen.
Wissen verfügbar machen
Systematische Übersichtsarbeiten können manchmal auch Wissen zutage fördern, das sonst in vielen Einzelstudien versteckt bleibt. Das zeigt ein Beispiel aus der Geburtshilfe: Babys, die zu früh geboren werden, haben oft unreife Lungen und damit Probleme beim Atmen – mit möglicherweise tödlichem Ausgang. Fachleute diskutierten Ende der 1960er Jahre, ob bei einer drohenden Frühgeburt die Lungen des ungeborenen Babys schneller reifen, wenn die Schwangere Cortison einnimmt. Und natürlich auch, ob die Frühchen dadurch eher überleben.
Bereits 1972 gab es zu dieser Frage eine erste randomisierte kontrollierte Studie. In den folgenden Jahren bis 1981 folgten weitere Untersuchungen, allerdings fielen nur einige, aber nicht alle zugunsten von Cortison aus. Erst 1989 wurde eine systematische Übersichtsarbeit zu dieser Frage angefertigt. Und es stellte sich bei der Zusammenschau aller Daten heraus, dass Cortison tatsächlich die Sterblichkeit der Babys verringert. Man hätte das also knapp zehn Jahre früher wissen können, das hätte vermutlich manchem Frühchen das Leben gerettet.1
Stand: 30. Oktober 2019 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.25