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Kommissar Ly und die Tigerknochenpaste

Nora Luttmer (2013) Der letzte Tiger. Berlin: Aufbau Verlag, 282 Seiten, 9,99 € (auch als E-Book erhältlich)

Suchen Sie noch einen Krimi, in dem es mal nicht um Drogen, Prostitution oder Cyberkriminalität geht? „Der letzte Tiger“ könnte da etwas für Sie sein. Im zweiten Fall von Kommissar Ly, der in Hanoi ermittelt, hat sich die Autorin und Vietnamkennerin Nora Luttmer den illegalen Tierhandel und einen sehr speziellen Medizinmarkt vorgenommen.

Sie entführt uns dabei in ein Land, in dem der Monsun mit all seinem Wasser, seinen tiefhängenden Wolken und endlosen Schlammstraßen wochenlang das Leben dominiert. Sie lässt mit uns die Hauptstadt Hanoi hinter sich, nimmt uns mit in den undurchdringlichen Dschungel, hin zu bezaubernden Berghängen – aber auch zu illegal abgeholzten Waldflächen. Denn dort, im Grenzgebiet zu Laos, verfolgt Kommissar Ly die Spur von Verbrechern, die den Markt für Produkte aus geschützten Tieren bedienen. Ungeahnte, wundergleiche Heilkräfte soll die Knochenpaste von Tigern bei Gelenkschmerzen entfalten. Und Knochenpaste vom Lori-Äffchen wird als Mittel gegen Lungenkrankheiten gehandelt.

Aber auch manche Bars in Hanoi brauchen regelmäßig Nachschub, denn dort stecken nicht nur Seepferdchen in Schnapsflaschen …

Nora Luttmer setzt uns auf die Fährte der kriminellen Akteure – und sie fragt auch, wer denn willens ist, die exorbitanten Preise für Tigerknochenprodukte oder teure Bärengalle zu bezahlen. Warum ist dem Irrglauben an die Heilkraft von tierischen Knochen, Säften und Organen nicht beizukommen? Welche Rolle spielt der Staat, mit seinen lachhaft niedrigen Strafen für illegalen Tierhandel? Warum wird das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 nicht konsequent durchgesetzt?

All das kommt zur Sprache, wenn Kommissar Ly mit einer Baronin, einer Zoodirektorin, Umweltschützern, einem Parteikommissar, dem Volkskomitee, Grenzern, Schamanen, Ärzten und seiner eigenen Familie zu tun hat. Wasserpfeifen und Betelnuss, Hausboote, Garküchen und asiatische Gerichte wie Reisnudeln mit Zitronengras oder in Knoblauch gedünsteter Pak-Choi-Kohl sind weitere Ingredienzien der Geschichte um den abscheulichen Umgang und Schmuggel mit Tieren.1 Die Autorin lässt uns kenntnisreich eintauchen in die Atmosphäre und die Vielschichtigkeit der vietnamesischen Gesellschaft. Ihr Kriminalroman ist kein „Wallander“, aber ihr unaufgeregter Sprachstil gefällt. „Der letzte Tiger“ lässt sich in einem Zug durchlesen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2014 / S.16