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© Emilija Randjelovic/ iStockphoto.com

Beschwerden einfach wegrauchen?

Cannabis bei Gelenk- und Nervenschmerzen

Nicht immer lassen sich Schmerzen gut in den Griff bekommen, etwa bei Rheuma oder bei Nervenschäden durch Diabetes. Kann dann Cannabis helfen? Klingt irgendwie verlockend.

Cannabis wird jede Menge medizinischer Wunderwirkungen zugeschrieben. Allein: Ordentlich belegt ist ein Nutzen nur für einige wenige Anwendungsgebiete. Dafür sind dann in der Regel Präparate auf der Basis von Cannabis als reguläre Arzneimittel zugelassen, beispielsweise gegen schmerzhafte Muskelverkrampfungen bei Multipler Sklerose. Darüber haben wir bereits berichtet.

Über diese zugelassenen Anwendungsgebiete hinaus wird Cannabis im Internet auch gegen Gelenk- und Nervenschmerzen angepriesen. Noch dazu soll es weniger Nebenwirkungen haben als herkömmliche Behandlungsoptionen. Kann Cannabis bei diesen Schmerzarten helfen? Und wie steht es um die Verträglichkeit? Das haben wir uns einmal näher angesehen.

Dünne Datenlage bei Gelenkschmerzen

Zum Thema Gelenkschmerzen haben wir nur zu rheumatoider Arthritis eine einzige Studie mit Cannabis gefunden,1 die zumindest unsere Mindestanforderungen erfüllt – sie vergleicht nämlich Cannabis mit einer anderen Behandlung, hier einem Scheinmedikament, und verteilt dabei die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) auf die beiden Gruppen. Zu Arthrose haben wir keine einzige solche Untersuchung identifizieren können.

Schlecht gemacht

Und an dieser Studie gibt es auch einiges auszusetzen: So nahmen nur knapp 60 Menschen teil, was für Verallgemeinerungen natürlich viel zu wenig ist. Ob die Studie tatsächlich zuverlässig war, lässt sich anhand der veröffentlichten Daten nicht nachvollziehen, weil zu viele Details fehlen. Deshalb muss man auch die vermeintlichen Erfolge des verwendeten Cannabis-Mundsprays – eine Verringerung der Beschwerden, vor allem von Schmerzen – sehr vorsichtig betrachten.

Noch dazu ist es unklar, ob die Beschwerden wirklich so stark gelindert wurden, dass es für die beteiligten Patientinnen und Patienten tatsächlich einen Unterschied machte. Außerdem ist zu beachten, dass die Rheumageplagten ihre normalen Mittel gegen Schmerzen und Entzündungen weiterhin einnahmen – Cannabis war also nur ein zusätzliches Mittel, kein Ersatz. In der Studie wurden die Teilnehmenden auch nur fünf Wochen lang behandelt – wie sich die Schmerzlinderung bei längerer Anwendung entwickeln würde, lässt sich deshalb nicht abschätzen. Bei Gelenkschmerzen fehlen also solide Belege für einen Nutzen von Cannabis.

Hoffnung bei Nervenschmerzen?

Sieht es denn bei Nervenschmerzen besser aus? Zumindest gibt es mehr Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Eine systematische Übersichtsarbeit hat insgesamt 16 Studien mit über 1.700 Teilnehmenden zusammengetragen.2

Allerdings ist das noch kein Grund zur Euphorie: Denn die vielen Studien verteilen sich auf viele verschiedene Ursachen für die Nervenschmerzen und sehr unterschiedliche Cannabis-Präparate. In den meisten Fällen kamen Cannabis-Arzneimittel zum Einsatz, die für andere Anwendungsgebiete, aber nicht für die Behandlung von Nervenschmerzen zugelassen sind. In zwei Studien rauchten die Teilnehmenden Cannabis. Das macht es sehr schwierig, die Studien sinnvoll zusammenzufassen und die Ergebnisse zu vergleichen. Ver­glichen wurde in den meisten Studien der Effekt von Cannabis mit dem eines Scheinmedikaments.

© nikoendres/ iStockphoto.com

Wenig beeindruckend

Rein rechnerisch konnte Cannabis in den Studien die Schmerzen etwas besser lindern als das Scheinmedikament. Allerdings sind die Effekte nicht besonders groß: Über den Placeboeffekt hinaus reduzierte sich der Schmerz bei 4 von 100 Teilnehmenden um mehr als die Hälfte. Legt man eine geringere Schmerzlinderung von 30% zugrunde, profitierten weitere 4 Personen von Cannabis. Das heißt also: Trotz Behandlung hatten die meisten immer noch Schmerzen.

Eingeschränkte Aussagekraft

Die Schätzung ist darüber hinaus nicht besonders zuverlässig, weil die einzelnen Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Auch dauerten die Studien längstens ein halbes Jahr – im richtigen Leben sind die Betroffenen den Nervenschmerzen aber dauerhaft ausgesetzt. Außerdem durften Personen, die andere Erkrankungen hatten, beispielsweise am Herzen oder an der Niere, nicht an der Studie teilnehmen. Das schränkt die Übertragbarkeit der Ergebnisse deutlich ein, beispielsweise für Menschen mit Diabetes-Folgeerkrankungen, die oft auch Herz und/oder Niere betreffen. Ob Cannabis die Nervenschmerzen besser lindert als Medikamente, die explizit für diesen Zweck zugelassen sind, lässt sich mit den Studien ebenfalls nicht abschätzen – denn das wurde nicht untersucht. Insgesamt fehlen also gute Belege für den Nutzen von Cannabis bei Nervenschmerzen.

Besser verträglich?

Dass Cannabis angeblich keine Nebenwirkungen haben soll, wurde in den Studien übrigens nicht bestätigt. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich zu dem Scheinmedikament brachen mehr Menschen in den Gruppen, die Cannabis erhielten, die Behandlung wegen unerwünschter Effekte ab. Sie wurden von dem Cannabis-Präparat schläfrig, verwirrt oder es war ihnen schwindlig.

Cannabis als Arznei
GPSP 2/2016, S. 7

Randomisierte Studien
GPSP 2/2019, S. 24

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2020 / S.12