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©kmrep/fotolia

Arzneimittel in der Muttermilch

Warum vorzeitiges Abstillen selten nötig ist

Stillen ist die beste Ernährung für den Säugling und fördert die Bindung zwischen Mutter und Kind. Doch was ist, wenn die Mutter Arzneimittel einnehmen muss? Ist es dann möglich, weiter zu stillen?

Für Säuglinge ist Muttermilch die ideale Nahrung: Sie enthält – neben der erforderlichen Flüssigkeit – alle wichtigen Nährstoffe in der richtigen Zusammensetzung. Darüber hinaus versorgt sie das Baby mit Antikörpern seiner Mutter und schützt es so vor Infektionen. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass gestillte Kinder auch langfristig profitieren: Sie entwickeln seltener Übergewicht und haben deshalb ein geringeres Risiko für Typ-2-Diabetes. Auch auf die Mutter wirkt sich Stillen positiv aus: Wenn das Baby an der Brust saugt, schüttet ihr Körper Hormone aus, die die Bindung zu ihrem Baby fördern. Außerdem ist bei Frauen, die stillen, das Risiko für Brustkrebs und Krebserkrankungen der Eierstöcke geringer. Nach der Geburt rutschen Mütter oft in ein seelische Tief, aber dieser „Babyblues“ klingt nach einigen Tagen ab. Nur ganz selten entwickelt sich daraus eine „Wochenbettdepression“. Stillen scheint auch davor zu schützen.1

Stillen bietet also vielfältige Vorteile für Mutter und Kind. Darum empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO, Säuglinge möglichst sechs Monate ausschließlich zu stillen. Die Nationale Stillkommission in Deutschland empfiehlt mindes­tens vier bis sechs Monate voll zu stillen. Danach kann – zusätzlich zu Brei und anderer Nahrung – weiterhin Muttermilch auf dem Speiseplan stehen, wenn beide es wünschen.1

Von der Mutter zum Kind: Abstillen?

Große Unsicherheit herrscht, wenn die Mutter während der Stillzeit Arzneimittel einnehmen muss. Ist es dann möglich, weiter zu stillen? Manche Ärzte raten aus Sicherheitsgründen vorschnell zum Abstillen, auch wenn das gar nicht nötig wäre. Denn die richtige Auswahl des Medikaments und ein kluger Umgang damit können helfen, dass Stillen weiter möglich ist.2,3

Wenn eine Mutter Arzneimittel einnimmt, wird der Wirkstoff in den Blutkreislauf aufgenommen. Von dort kann er über die Milchbildung in der Brust zum Säugling gelangen. Wie viel tatsächlich beim Kind ankommt und welche Folgen das hat, ist von Medikament zu Medikament sehr unterschiedlich und hängt von mehreren Faktoren ab: Dazu gehört die Konzentration des Medikaments im Blut der Mutter und die pharmakologischen Eigenschaften des Arzneistoffs, etwa seine Fettlöslichkeit oder die Bindung an Eiweißstoffe im Blut. Auch die Geschwindigkeit, mit der der Körper den Arzneistoff abbaut, spielt eine Rolle. Entsprechend gibt es Medikamente, von denen mehr in die Muttermilch gelangt, und solche, bei denen das kaum der Fall ist. Und: Muss eine stillende Frau regelmäßig Arzneimittel einnehmen, gelangt natürlich mehr Wirkstoff in die Muttermilch, als zum Beispiel wenn sie nur einmal eine Kopfschmerztablette nimmt. Außerdem stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Blut und Muttermilch ein: Sinkt die Konzentration im Blut – etwa weil ein Teil des Arzneistoffs schon wieder ausgeschieden wurde –, verringert sich dementsprechend die Arzneistoffmenge in der Milch. Medikamente werden dort also üblicherweise nicht gespeichert. Schließlich: Stillt eine Frau ihren älteren Säugling nicht mehr so häufig, kommt auch weniger Arzneistoff beim Kind an.

Folgen für das Baby

Gelangt ein Arzneistoff in die Milch, wird der kindliche Körper dem ausgesetzt. Ob das aber zu gesundheitlichen Problemen führt, hängt auch vom Alter des Kindes ab: Besonders empfindlich reagieren Frühgeborene, und auch bei jüngeren Säuglingen sind die Entgiftungsmechanismen von Leber und Niere noch nicht so gut ausgereift wie etwa bei einem Baby, das ein halbes Jahr alt ist. Außerdem reagiert auch das Gehirn im früheren Lebensalter deutlich empfindlicher. Insgesamt sind Nebenwirkungen durch Arzneimittel, die das Baby mit der Muttermilch aufnimmt, aber sehr selten.

Von Fall zu Fall entscheiden

Stillende Mütter können zunächst ausprobieren, ob sich ihre Beschwerden auch ohne Medikamente lindern lassen. Bei einem Schnupfen können etwa Kochsalzsprays bereits gute Dienste gegen die verstopfte Nase leisten. Werden in der Stillzeit aber doch Arzneimittel nötig, sollten Arzt oder Ärztin gemeinsam mit der Patientin nach einer Lösung suchen, die mit dem Stillen vereinbar ist. Konkret kann das zum Beispiel heißen: Statt Tabletten möglichst eine lokale Behandlung wählen. Denn Arzneimittel, die man auf die Haut aufträgt oder in Nase oder Auge einbringt, werden oft nicht oder nur zu einem geringen Teil ins Blut aufgenommen – entsprechend sinkt auch die Milchbelastung. Bei allergischen Beschwerden am Auge können zum Beispiel antiallergische Augentropfen den Juckreiz verringern. Antihistaminika-Tabletten sind dann häufig gar nicht nötig. Wenn es nicht ohne Tabletten geht, sollte die Dosis so niedrig wie möglich liegen und die Behandlung so kurz wie möglich erfolgen. Zur Sicherheit sollte die Mutter ihr Baby aber immer aufmerksam beobachten und mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin sprechen, wenn es beispielsweise deutlich schläfriger oder lethargischer als sonst erscheint.

Altbekanntes oft besser

Empfehlenswert ist es, auf Arzneimittel zurückzugreifen, für die es bereits Erfahrungswerte in der Stillzeit gibt. Häufig sind das Arzneistoffe, die bereits lange auf dem Markt sind und für die  daher
mehr Studienergebnisse vorliegen. Dieses Wissen fehlt häufig noch bei neueren Medikamenten. Eine weitere Strategie besteht darin, Arzneistoffe auszuwählen, die der Körper relativ schnell abbaut. Dann ist es günstig, das Arzneimittel (wenn möglich) unmittelbar nach dem Stillen einzunehmen, denn so vergehen bis zur nächsten Stillmahlzeit meist einige Stunden – mit dem Ergebnis, dass die Milch weniger belastet ist.

Informieren ist wichtig

Manchmal geht es allerdings für die Mutter nicht ohne eine Arzneitherapie, die für das Kind tatsächlich eine gesundheitliche Gefährdung darstellt. Das ist etwa bei einer Krebsbehandlung der Fall oder wenn für längere Zeit starke Schmerzmittel oder Substitutionsmittel (Opioide) oder spezielle Kombinationen von Psychopharmaka nötig sind. Dann kann eine Frau – nach eingehender Beratung mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin – zu der Entscheidung kommen, dass Abstillen ratsam und industrielle Säuglingsmilch das kleinere Übel für ihr Kind darstellen. Solche Entscheidungen sind nicht einfach.

Deutlich verbesserungswürdig ist das Informationsangebot für den Gebrauch von Arzneimitteln in der Stillzeit. Die Packungsbeilage oder die Fachinformationen für Ärzte helfen oft nicht weiter, da sie aus juristischen Gründen meist von Arzneimitteln abraten, wenn diese in den Zulassungsstudien nicht auch bei stillenden Frauen untersucht wurden. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse fließen in Beipackzettel erst mit Verzögerung ein. Deshalb ist es sinnvoll, auf zuverlässige Informationen zurückzugreifen, wie sie etwa das Institut für Embryonaltoxikologie in Berlin anbietet. Unter www.embryotox.de ist die Datenbank für „Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit“ frei zugänglich. Für verschiedene Erkrankungen finden sich dort Informationen zu den empfohlenen Arzneistoffen während der Stillzeit. Umgekehrt lassen sich für bestimmte Arzneistoffe vorab Beurteilungen abrufen. Vor allem Ärzte und Apotheker können zusätzlich ein telefonisches Beratungsangebot in Anspruch nehmen.

Vorsicht berechtigt, aber Risiko gering

Frauen wissen, dass Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit ein Problem sind. Die Konzentration von Arzneistoffen in der Muttermilch ist in den meisten Fällen gering, und Nebenwirkungen treten beim gestillten Kind nur sehr selten auf. Für die meisten Erkrankungen und Beschwerden der Mutter lassen sich Arzneimittel finden, die den Säugling nicht gefährden. Darum ist Abstillen nur in individuell begründeten Fällen nötig.

Arzneimittel für Schwangere
GPSP 3/2015, S. 19

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2016 / S.16