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Was bringen Kunstinsuline?

Apidra®, Humalog® und NovoRapid® auf dem Prüfstand

Insuline sind für viele Zuckerkranke (Diabetiker) ein wichtiger Teil der Behandlung. Seit einiger Zeit drängen neue teure Kunstinsuline (auch Insulinanaloga genannt) auf den Markt. Angeblich sollen sie besser sein als übliches Humaninsulin. Doch an dieser Behauptung der Hersteller ist offensichtlich nicht viel dran. Dafür gibt es aber ungeklärte Risiken. Wegen der hohen Kosten von Insulinanaloga – ohne erkennbare Vorteile bei Altersdiabetes (Typ 2 Diabetes) – werden die Krankenkassen die Kosten möglicherweise schon bald nicht mehr generell übernehmen.

Ist schneller wirklich besser? Das zumindest behaupten die Hersteller für ihre Kunstinsuline. Das Beispiel stammt aus einer Werbung in einer Ärztezeitschrift.

„Humaner geht’s nicht“ – die­se Werbung galt vor mehr als zwei Jahrzehnten einem neuen Humaninsulin.a Als Humaninsuline werden Insuline bezeichnet, die mit dem von der Bauchspeicheldrüse abgegebenen Hormon Insulin identisch sind. Bereits wenig später begannen Pharmahersteller jedoch, die Insulinstruktur ihrer Produkte wieder abzuwandeln. Mitte der 90er Jahre kam das erste künstlich veränderte Insulin auf den Markt, bei dem einzelne Aminosäuren des Insulins ausgetauscht sind. Solche Insulinvarianten werden als Insulinanaloga, Kunstinsuline oder Designerinsuline bezeichnet.

Echte Vorteile?

Heute ist bereits jedes zweite verordnete kurzwirksame Insulin ein Kunstinsulin. Angeboten werden Aspart (NovoRapid®), Glulisin (Apidra®) und Lispro (Humalog®, Liprolog®). Sie wirken schneller und kürzer als entsprechendes Humaninsulin. Aufgrund der veränderten Eigenschaften versprechen die Hersteller mehr Bequemlichkeit und Lebensqualität. Auch andere Vorteile werden behauptet, beispielsweise dass Unter­zuckerungen seltener sind, die blutzuckersenkende Wirkung gleichmäßiger ist und die Anwender zufriedener sind.

Das Argument, dass wahrscheinlich am stärksten dazu beigetragen hat, dass sich die Kunstinsuline durchgesetzt haben, ist die angeblich komfortablere Anwendung ohne Spritz-Ess-Abstand. Das bedeutet: Es kann nach dem Spritzen des Insulins gleich gegessen werden. Bei Human­insulin wird oft noch dazu geraten, nach dem Spritzen 15 Minuten abzuwarten. Die­se Empfehlung kann jedoch inzwischen als überholt angesehen werden. Auch bei Humaninsulinen wird heute vielfach auf den festen Spritz-Ess-Abstand verzichtet. Dies spiegelt sich inzwischen in Gebrauchsinformationen von Humaninsulinen wider. Beispielsweise wird bei Actrapid® nur noch darauf hingewiesen, dass „innerhalb von 30 Minuten“ eine Mahlzeit eingenommen werden sollte.

Fakten sprechen gegen besondere Vorteile


© medicalpicture/ Wolfgang Stecher

Jetzt hat das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG, siehe Kasten) eine ausführliche wissenschaftliche Bewertung der kurzwirksamen Insulinanaloga veröffentlicht. Dabei ging es um die Frage, ob Langzeitstudien einen „patientenrelevanten Zusatznutzen gegenüber Humanin­sulin“ nachweisen können. Es wurden Studien mit Patien­ten berücksichtigt, die an „Alters­diabetes“ (Typ 2 Diabetes) erkrankt sind.b Das ist die weitaus häufigste Art der Blutzuckererkrankung. Das Ergebnis ist für die Kunstinsuline niederschmetternd. Zunächst bemängelt das IQWiG die generell schlechte Qualität der Studien. Dann stellt es fest, dass sich für Kunstinsuline weder eine Überlegenheit in Bezug auf das Risiko von Unterzuckerungen oder Überzuckerungen nachweisen lässt, noch auf die Lebensqualität und die Behandlungszufriedenheit der Patienten. Die vorhandenen Studien können zudem nicht klären, ob sich die drei untersuchten kurzwirksamen Kunstinsuline „positiv, negativ oder neutral im Vergleich zu Humaninsulinen“ auf die Lebenserwartung von zuckerkranken Patienten auswirken.b Diese Ergebnisse bestätigen die Bewertungen, die unabhängige Arzneimittelzeitschriften bereits seit Jahren veröffentlicht haben.c

Die Firmen haben es also geschafft, mit Kunstinsulinen Millionengewinne zu machen, ohne nachzuweisen, dass die Patienten damit besser oder länger leben. Massive Werbung und die Beeinflussung von Meinungsführern aus der Ärzteschaft haben dazu beigetragen.

Risiken nicht ausreichend geklärt

Die bisherigen Studien können auch nicht klären, ob sich die Langzeitbehandlung mit Kunstinsulinen krebsfördernd auswirkt. Der Verdacht, der auf verschiedenen Tierversuchen und experimentellen Befunden basiert, besteht aber schon lange: Anfang der 90er Jahre wurde sogar die Erprobung eines – später nicht in den Handel gebrachten –  Kunstinsulins abgebrochen, da im Versuch an Ratten auffällig oft Brustkrebs aufgetreten war.d Entsprechende Hinweise hat es bisher beim Menschen nicht gegeben.
Es lässt sich nicht ausschließen, dass Kunstinsuline die Gefährdung erhöhen, infolge des Diabetes eine Augen­erkrankung zu bekommen.

Trotz der weitreichenden Bedeutung derartiger Verdachtsmomente – schließlich werden Insuline lebenslang gespritzt – sind diese Risiken bis heute nicht genügend untersucht worden. Die Industrie hat es unterlassen, entsprechende Studien durchzuführen, bemängelt das IQWiG.

Obwohl also Vorteile für Kunstinsuline nicht belegt und drängende Fragen zur Sicherheit dieser Medikamente unbeantwortet sind, spritzen inzwischen etwa 1,5 Millionen Menschen mit Zuckerkrankheit ein kurzwirkendes Kunstinsulin. Diese sind aber etwa 30% teurer als Human­insuline. Der finanzielle Höhen­flug der Kunstinsuline könnte allerdings bald gebremst werden. Der Gemeinsame Bundes­ausschuss, der vom Gesetz­geber beauftragt ist, festzulegen, für welche Art von Leistungen die Kranken­kassen aufkommen müssen (siehe GPSP Nr. 2/2005, Seite 7), wird sich der Bewertung des IQWiG anschließen müssen und den Einsatz kurzwirkender Kunstinsuline beschränken. Dies könnte bedeuten, dass Ärzte dann Pa­tienten mit Altersdiabetes nicht mehr neu auf Kunst­insuline einstellen dürfen – zumindest so lange die­se teurer als Human­insuline sind. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand bedeutet das für Diabetiker keinen erkennbaren Nachteil. Wer aber bereits gut auf ein Kunstinsulin eingestellt ist, wird wohl bei „seinem“ Insulin bleiben können. Auf welchem Wege die Insulinverord­nungen neu geregelt werden, wird in den nächsten Monaten ent­schieden.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2006 / S.01