Zum Inhalt springen
©Sarah Campbell laffer Foundation, Houston, USA

Von Schafsdärmen und Fischblasen

Die Geschichte des Kondoms

Seit mehreren Jahrhunderten spielen Kondome eine wichtige Rolle für die sexuelle Gesundheit und Familienplanung. Ihre Geschichte hält so manche Kuriosität bereit.

In der niederländischen Stadt Utrecht handelten 1713 französische, spanische, britische und holländische Diplomaten mehrere Verträge aus, die den Spanischen Erbfolgekrieg beendeten und als „Friede von Utrecht“ in die Geschichtsbücher eingingen. Nach getaner Arbeit am Verhandlungstisch suchten die Delegierten Gelegenheiten für sexuelle Eskapaden: Die Nachfrage nach Sex war so groß, dass es später hieß, die Verhandlungen in Utrecht seien zugleich die größte Zusammenkunft von Prostituierten der Weltgeschichte gewesen. Die Folge: Sexuell übertragbare Krankheiten wie die Syphilis verbreiteten sich explosionsartig.

Der Aufstieg des Kondoms

In der Stadt gab es aber eine Frau, die wusste, wie Mann sich gegen die Krankheiten schützen kann: In einem kleinen Eckladen verkaufte sie Kondome – und machte damit das Geschäft ihres Lebens.

Von den Vorteilen der Überzieher überzeugt, nahmen englische Diplomaten sie mit ins Vereinigte Königreich. Kurze Zeit später wurden sie auch in London hergestellt und verkauft. Die Metropole entwickelte sich schon bald zur Hauptstadt des Kondoms.1

Tierische Quellen

Zu dieser Zeit wurden die meisten Präservative aus Schafsdarm hergestellt. Man nutzte aber auch Schwimmblasen von Fischen oder die Häute anderer Tiere. Der Schafsdarm wurde aufwendig behandelt, musste stundenlang in alkalihaltigen Lösungen und Milch eingeweicht, von Geweberesten befreit sowie mit Seife gewaschen werden. Das sollte die Häute elastisch machen und weniger durchlässig. Auch vor dem Gebrauch mussten diese Kondome eingeweicht werden. Die Überzieher waren um die 20 Zentimeter lang. Sie ließen sich mit einem farbigen Bändchen am Schaft des Penis befestigen und wurden meist mehrmals verwendet.

Vor allem die reicheren Männer aus der gehobenen Schicht kauften sich „eine Maschine“, wie sie die Kondome auch nannten. Aus manchen ihrer Tagebucheinträge wird klar: Ihnen ging es vor allem um den eigenen Schutz, wenn sie mit Prostituierten verkehrten – nicht darum, diese meist bettelarmen Frauen, die für ein paar Pennys ihren Körper verkauften, vor Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten zu bewahren.

Die Anfänge

Dass Kondome nicht nur vor Krankheiten schützen können, sondern auch vor Schwangerschaften, war bereits aus der Antike bekannt. Genutzt wurden sehr unterschiedliche Materialien: In Ägypten sollen Männer Überzieher aus Leinen in diversen Farben benutzt haben. Im Römischen Reich setzte man neben Leinen auch Tierhäute ein. Im alten China wurden Kondome aus Seide gemacht oder aus Seidenpapier, das mit einem Öl getränkt war. In Japan bedeckte eine Kappe aus Schildpatt oder Leder nur die Eichel. Das sollte auch Männern mit Erektionsstörungen helfen, sexuell aktiv zu sein.

Als ältestes Zeugnis eines Kondoms gilt eine Geschichte über den kretischen König Minos. Seine Frau Pasiphae versuchte mithilfe eines Zaubers, ihren Mann zur ehelichen Treue anzuhalten: Seine Geliebten starben alle durch seinen mit Schlangen und Skorpionen verseuchten Samen. Das gefährdete allerdings auch Pasiphae selbst, sodass Minos eigentlich keinen Erben zeugen konnte. Dass er und seine Frau Pasiphae dennoch acht Kinder bekamen, verdankten sie der Überlieferung nach einer Ziegenblase, die Minos als Kondom benutzte: Dieses fing beim Erguss den verseuchten Samen auf, der nachfolgende Sex soll für Minos‘ Frau ungefährlich gewesen sein.

Der Weg zum modernen Kondom

Kondome aus Tierhäuten waren sehr dick und deshalb wenig beliebt. Der berühmteste Verführer der Literaturgeschichte, Casanova, soll gesagt haben: „Kondome sind ein Bollwerk gegen das Vergnügen, aber ein Spinnweb gegen die Gefahr.“

Als Charles Goodyear 1839 die Vulkanisierung von Kautschuk erfand, änderte sich das. Er ermöglichte mit seiner Erfindung nicht nur die Produktion des modernen Autoreifens, sondern auch die Herstellung von Gummikondomen. Sie hatten eine Naht und waren sehr teuer, da sie per Hand hergestellt wurden. Ab 1930 verwendete man dann Latex für die Herstellung. Das machte die Kondome dünner und verbesserte auch die Akzeptanz. Mit der zunehmenden automatischen Produktion sanken die Preise, sodass die Kondome erschwinglicher wurden. Wer auf Latex allergisch reagiert: Inzwischen gibt es auch latexfreie Produkte.
Die heutigen Kondome werden nach einer DIN-Norm geprüft. Sie sind in einer Vielzahl von Größen, Farben, Oberflächenstrukturen wie Noppen sowie Geschmacksrichtungen erhältlich.

Im Wandel der Zeiten

Der Grund, warum Kondome benutzt wurden, veränderte sich im Laufe der Zeiten immer wieder. Im Ersten Weltkrieg war schnell klar, dass sie kriegsentscheidend sein können: So mussten die amerikanischen Streitkräfte fast 10.000 Soldaten wegen Geschlechtskrankheiten aus der Armee entlassen. Um solche Verluste zu vermeiden, verteilten die Militärbehörden auf allen Seiten kostenlose Kondome an die Soldaten. In speziell eingerichteten Kriegsbordellen wurden sie zur Pflicht.2 Die Erfindung der Pille Mitte des 20. Jahrhunderts bremste die Popularität des Überziehers zunächst. Das änderte sich allerdings, als in den 1980er- Jahren die Immunschwächekrankheit AIDS entdeckt wurde. Nun galten Kondome sogar als Lebensretter, weil sich mit ihnen eine HIV-Infektion verhindern lässt.

Verhütungsmittel

In den letzten Jahren nutzen immer mehr Menschen Kondome zur Verhütung. So gaben in einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2018 fast die Hälfte der Befragten an, Präservative zur Verhütung zu benutzen. Damit haben in der Häufigkeit der Nutzung Kondome zur Pille aufgeschlossen.3

Bei perfekter Anwendung wird die „Versagerrate“ bei der Verhütung mit Präservativen mit zwei Prozent angegeben. Im Alltag können es allerdings auch sechs bis 18 Prozent sein, etwa bei unsachgemäßer Handhabung. Zum Vergleich: Für die Pille liegt die Versagerrate – perfekte Anwendung vorausgesetzt – bei etwa 0,3 bis ein Prozent, im Alltag bei 2,5 bis neun Prozent.4

Syphilis
GPSP 3/2019, S. 12

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2021 / S.12