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US-Pharmaindustrie auf dem Emanzipationstrip

Gekaufte Kampagne für angeblich nötige Frauen-Sexpille

Für Männer mit sexuellen Problemen gibt es je nach Beschwerdebild ein paar Medikamente. Für Frauen weniger. Irgendwie ungerecht – oder? Aus der fragwürdigen Idee von fehlender „Gleichberechtigung“ auf diesem Gebiet hat die US-Firma Sprout eine Kampagne gestrickt, die einzig dem Zweck dient, ihren in mehrerer Hinsicht bedenklichen Wirkstoff Flibanserin endlich auf den Markt zu hieven. Womöglich mit Erfolg.

Flibanserin hat eine lange Geschichte: Vom deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim als Antidepressivum entwickelt, scheiterte in den USA die Zulassung durch die FDA dreimal. Da sich während der Medikamententests bei manchen Frauen aber das sexuelle Verlangen steigerte, versuchte es Boehringer mit der neuen Indikation „Mangelndes sexuelles Verlangen der Frau“ (HSDD1). Ebenfalls vergeblich. Daraufhin wurde 2011 der Wirkstoff an Sprout verkauft, eine eigens von Investoren und Pharmamanagern gegründete US-Firma, der es nur um die Vermarktung dieses Präparats ging. Sie scheiterte allerdings 2013 erneut mit einem HSDD-Zulassungsantrag bei der FDA.2 Der Nutzen wurde als gering angesehen und der Schaden als erheblich.

Erfolgreiche Kampagne

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) titelte kürzlich „Das sogenannte Viagra für Frauen ist in Europa und Amerika nicht zugelassen. Nun gibt es in den USA erneut eine Anhörung [bei der FDA]– auch, weil sich Gynäkologen und Frauenrechtler beschwerten, die Sexualität der Frau werde einfach nicht ernstgenommen.“3

Die SZ gibt nicht nur den Argumenten des Herstellers Sprout breiten Raum, sondern übernimmt kritiklos die angebliche Unterstützung des Medikaments durch „verschiedene Frauenrechtsgruppen, Gynäkologen- und Psychologenverbände, die sich mittlerweile zu der Organisation ‚Even the Score‘ zusammengeschlossen“ haben. Frauen werden auf der Webseite dieser Organisation ermutigt, von ihren Problemen mit sexueller Unlust zu berichten. Die SZ-Autorin erwähnt nur am Rande, dass die Initiative „teilweise von Sprout finanziert“ wird.

Dabei geht völlig unter‚ dass „Even the Score“ eine Marketingidee des Herstellers Sprout war.2 Und man muss in diesem Kontext daran erinnern, dass Selbsthilfeorganisationen ganz enormen Druck ausüben können und genau deshalb öfters gezielt von der Industrie gegründet werden.

Nachdem die FDA 2013 den Zulassungsantrag von Sprout zur Diagnose HSDD abgelehnt hatte, rekrutierte die Firma Susan Scanlan, die langjährige Vorsitzende eines Verbandes von 200 US-Frauenorganisationen. Scanlan verließ sich bei ihrer Entscheidung, Vorsitzende von „Even the Score“ zu werden, auf den Rat anderer Organisationen und Experten, die ihrerseits von Sprout und weiteren Firmen unterstützt werden. Sogar jene Frauen, die an sexueller Unlust litten und die der Feministin ihr Herz ausschütteten, waren von diesen Leuten mit Interessenkonflikten ausgewählt worden. Da Susan Scanlan nach eigenen Aussagen von Statistik und Chemie keine Ahnung hat, wird die inhaltliche Arbeit von der „Even the Score“-Beraterin Audrey Sheppard gesteuert, die ziemlich sicher ebenfalls von
Sprout bezahlt wird.2

Pseudo-Feminismus

Die Kampagne von „Even the Score“ bemüht berechtigte alte feministische Forderungen wie gleiche Rechte, freie Entscheidung und sexuelle Gleichstellung, aber ihr Ziel ist strategisch: Die FDA solle durch „Zulassung des ersten Medikaments gegen die häufigste Form weiblicher Dysfunktion“ im Sinne der Frauen handeln.2 Das industrieunabhängige „National Women’s Health Network“, das von Sprout ebenfalls gerne ins Marketing-Boot geholt worden wäre, wandte sich explizit und öffentlich gegen das Medikament: „Das Problem mit Flibanserin ist nicht Benachteiligung der Frau durch die FDA, sondern das Medikament selbst.“2

Dass die Süddeutsche Zeitung Flibanserin als Viagra® (Sildenafil) für Frauen bezeichnet, ist übrigens irreführend. Sildenafil hilft Männern, die trotz sexueller Erregung keine Erektion bekommen. Das sexuelle Verlangen muss also vorhanden sein und die Tablette wird bei Bedarf einige Stunden vor dem Sex eingenommen. Flibanserin dagegen müssten Frauen auf Dauer täglich schlucken. Und es wirkt nicht auf die Klitoris oder vaginal, sondern im Gehirn. Der Effekt ist mager: Die Zahl der zufriedenstellenden sexuellen Akte pro Monat stieg von ungefähr 3 auf 4. Der Unterschied zu Placebo betrug in den Boehringer-Studien weniger als einen Akt pro Monat (0,8).

Dabei ist Flibanserin schlecht verträglich: Häufige unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Schwindel, Schwäche, Schlaflosigkeit oder Müdigkeit. Es kam in seltenen Fällen sogar zu Depressionen und Ohnmacht. Fast 15% der Frauen brachen die Behandlung ab. Kein gutes Zeichen.

Nebenbei: Flibanserin ging 2013 sogar die Indikation verloren, denn HSDD mit geschätzt 10% Betroffenen wurde aus dem maßgeblichen Verzeichnis von psychischen Erkrankungen gestrichen, weil es zu falschen Diagnosen und Überbehandlung führe. In der Neufassung der US-Klassifizierung (DSM 5) ist viel enger definiert, wann bei Frauen Probleme mit dem Sex als Krankheit gelten. „Even the Score“ behauptet trotzdem unverdrossen, dass fast jede zweite Frau Sexprobleme hätte.

Frauenrechtlerinnen monieren noch etwas anderes: Frauen, die gerade keine Lust zu Sex haben, könnten von ihren Partnern gedrängt werden, die schlecht verträglichen Tabletten regelmäßig zu schlucken.

Vor wenigen Tagen empfahl ein Expertengremium der US-Behörde FDA mehrheitlich die Zulassung von Flibanserin gegen mangelndes sexuelles Verlangen bei Frauen. Die letzte Entscheidung liegt bei der Behörde selbst.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2015 / S.06