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Nur keine Panik: Blutdrucksenker als Ursache von Krebs?

In letzter Zeit gab es wiederholt Berichte, wonach bestimmte Blutdrucksenker Krebs begünstigen können. Wie kommen solche Verdächtigungen zustande und wie begründet sind sie? Schließlich: Was bedeutet das für Sie als Patient oder Patientin?

Achtung, hier geht es nicht um das Blutdruckmittel Valsartan, das mit krebserzeugenden Substanzen verunreinigt war – GPSP berichtete. Hier geht es um ganz reguläre Arzneimittel, die bei Bluthochdruck und Herzinsuffizienz helfen: Der Verdacht betrifft das entwässernde Arzneimittel Hydrochlorothiazid, kurz HCT, und eine weitere Substanzgruppe, die sogenannten ACE-Hemmer. Diese Wirkstoffe  sind bereits seit Jahrzehnten im Handel und gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt. Bei beiden Stoffgruppen wird der Verdacht „krebsverursachend“ mit sogenannten Beobachtungsstudien begründet.

Lungenkrebs durch ACE-Hemmer?

Der Verdacht, dass ACE-Hemmer Lungenkrebs begünstigen könnten, ist alt. Durch den Wirkstoff entstehen in der Lunge Substanzen, die bei manchen Patienten Hustenreiz auslösen. Diese Stoffe können im Laborexperiment das Wachstum von Tumorgeweben fördern. Aber ein Beweis, dass ACE-Hemmer bei Menschen tatsächlich Lungentumore begünstigen, konnte bislang nie erbracht werden.

Neue Daten

Im Oktober 2018 wurden nun die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie mit fast einer Million britischer Bluthochdruck­patienten veröffentlicht, die erstmals einen Blutdrucksenker erhalten hatten:1 Ein Teil wurde mit einem ACE-Hemmer behandelt, ein anderer, kleinerer Teil mit einem Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB). Dieser Blutdrucksenker steht nicht im Verdacht Lungenkrebs zu begünstigen.

Etwa 8.000 dieser Menschen bekamen in den folgenden sechseinhalb Jahren Lungenkrebs. Bei Patienten mit ACE-Hemmer trat er etwas häufiger auf als bei Patienten mit ARB-Therapie. Von 1.000 Patienten und Patientinnen waren pro Jahr 1,6 (ACE-Hemmer) beziehungsweise 1,2 (ARB) betroffen.

Anders ausgedrückt: Wenn 1.000 Patienten zehn Jahre lang einen ACE-Hemmer statt eines ARB einnehmen, würden laut der Studie zusätzlich 4 von ihnen an Lungenkrebs erkranken.

Es ist aber gar nicht sicher, ob ACE-Hemmer die tatsächliche Ursache für die zusätzlichen Krebserkrankungen sind. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die teureren ARB bevorzugt gut verdienenden und die preisgünstigeren ACE-Hemmer ärmeren Menschen verordnet wurden. Armut und die damit verbundenen Lebensumstände begünstigen das Auftreten vieler Krankheiten. Daher ist es denkbar, dass die ACE-Hemmer gar nicht der Grund für den Lungenkrebs waren, sondern die schlechteren Lebensbedingungen dahinter steckten.

Dass Patienten mit Bluthochdruck und Herzinsuffizienz, die ACE-Hemmer einnehmen, länger leben, ist in unzähligen Studien eindeutig nachgewiesen worden.2 Stellt man das relativ geringe Tumorrisiko und die vielen offenen Fragen bei der Beo­bachtungs­studie dem gro­ßen Nutzen der ACE-Hemmer gegen­über, dann ist klar: Es gibt derzeit keine Veranlassung, die Behandlung mit einem ACE-Hemmer abzubrechen.

Hautkrebs durch HCT?

Anders ist die Situation beim Diuretikum Hydrochlorothiazid (HCT) und weißem Hautkrebs, zu dem Spinaliome und Basaliome zählen. Der Verdacht, dass es diese Krebsarten begünstigt, stammt aus mehreren Beobachtungsstudien, und es gibt auch – anders als bei den ACE-Hemmern – eine gute Erklärung: HCT reagiert in der Haut mit Licht und kann sie schädigen. Solche phototoxischen Effekte verursachen andere Diuretika zwar auch, HCT reichert sich aber besonders stark in Hautzellen an.

Bereits 2012 fand sich in Versicherungsdaten aus den USA bei Bluthochdruckpatienten, die mit HCT behandelt wurden, ein erhöhtes  Risiko für ein Spinaliom an den Lippen.3 Dies wurde kürzlich durch zwei dänische Fall­kon­trollstudien bestätigt. Die Wissenschaftler haben errechnet, dass dieser weiße Hautkrebs mit zunehmender Dosis und zunehmender Behandlungsdauer deutlich ansteigt. Demnach wächst bei Langzeiteinnahme von HCT das Risiko für ein Spinaliom an den Lippen um mehr als das Siebenfache.4 Aber auch das Risiko für andere Hautkrebsarten nimmt zu.5,6

Allerdings ist weißer Hautkrebs insgesamt eher selten, deshalb hat die Risikosteigerung keine so massiven Folgen. Wenn 1.000 Patienten über zehn Jahre HCT anstatt eines anderen Blutdrucksenkers einnehmen,  würden maximal 36 zusätzliche weiße Hautkrebse entstehen: 32 Spinaliome und 4 Basaliome.6

Die Konsequenzen

Trotz offener Fragen muss ein Zusammenhang zwischen HCT und weißem Hautkrebs als wahrscheinlich angesehen werden. Das sehen auch die Aufsichtsbehörden so. Mit einem sogenannten „Rote-Hand-Brief“ wurden darum die Ärzte aufgefordert, alle Patienten und Patientinnen mit HCT-Präparaten über das erhöhte Hautkrebs-Risiko aufzuklären.7

Wenn Sie HCT einnehmen, sollten Sie Sonnen- und UV-Strahlen eher meiden, vor allem ausgedehnte Sonnenbäder oder Solarium-Besuche, und Sonnenschutzcremes verwenden. Außerdem sollten Sie Ihre Haut regelmäßig kontrollieren und bei Auffälligkeiten zum Hautarzt gehen.

Wenn Sie bereits Hautkrebs hatten, sollten Sie Ihre Ärzte nach einem anderen Medikament fragen. Es gibt genügend Alternativen. So wirkt Chlortalidon ähnlich wie HCT und ist sogar besser untersucht.8 Da schon viele Umstellungen vorgenommen wurden, kam es zeitweilig allerdings zu Lieferengpässen bei den Alternativpräparaten.9
Keinesfalls sollten Sie Hochdruckmittel ohne Rücksprache mit Ihrem Arzt oder Ärztin absetzen. Die Gefahr, dass Sie andernfalls Schaden nehmen, ist vermutlich größer als das geringe Risiko für Hautkrebs.

Gepanschtes Valsartan
GPSP 6/2018, S. 4

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2019 / S.04