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Niesen, Schniefen und Moneten

Das Märchen vom Erkältungsspray

Wir haben bereits mehrfach berichtet: Eine Erkältung zu verhindern, ist schwierig, Mittel mit Echinacea oder Vitamin C versagen als Schutz. Doch wie sieht es mit den viel gepriesenen Erkältungssprays aus? Kann man seine Schleimhäute durch eine Art „Beschichtung“ schützen?

Es war einmal ein Ritter, der hatte sich dem Kampf gegen die Erkältung verschrieben. Aber egal, was er auch probierte: Nichts half zuverlässig. Umso aufgeregter war er, als er eines Tages auf einen Schutzschild stieß, der tatsächlich bei der Abwehr helfen sollte …

@ Thomas Kunz

Vollmundige Werbung

Eine alberne Geschichte? Das Bild von Ritter und Schild stammt aus der Werbung für ein Rachenspray, das vor Erkältung schützen soll.1 Ein zweites Mittel, ein Nasenspray für den gleichen Zweck, bemüht nicht weniger pathetisch die Feuerwehr, die mit Blaulicht und vollem Einsatz die glimmende Infektion in Schach hält.2 Das Versprechen in beiden Fällen: Nutzt man die Mittel zur Vorbeugung, steckt man sich nicht an. Und falls es einen doch erwischt, dann dauert die Erkältung nicht so lange, und man leidet nicht so sehr. Endlich ein wirksames Mittel gegen Erkältungen zu haben, wäre eine prima Sache. Doch halten die beiden Mittel auch, was sie versprechen?

Ein genauer Blick

Die beiden genannten Präparate enthalten zwar unterschiedliche Substanzen, sollen aber einen ähnlichen Wirkmechanismus haben: Sie bilden einen Film auf den Schleimhäuten, der Erkältungsviren abwehrt. Das Nasenspray nutzt dafür Carrageen, einen Schleimbildner aus Algen, der in Lebensmitteln oft als Verdickungsmittel eingesetzt wird. Das Rachenspray arbeitet dagegen mit dickflüssigem Glycerin, das in Kosmetika und Lebensmitteln als Feuchthaltemittel dient. Außerdem enthält es noch das Enzym Trypsin, das Eiweißstoffe spaltet und so das Andocken der Erkältungsviren an die Schleimhaut verhindern soll. Weil die beiden Mittel also hauptsächlich auf physikalischem Weg wirken, sind sie als Medizinprodukte zugelassen. Das ist für den Hersteller viel billiger, da an die Studien für solche Produkte viel geringere Qualitätsansprüche gestellt werden als bei einer Zulassung als Medikament.

Mängel im Detail

Die Wirkmechanismen sind erst einmal eine schöne Theorie – aber funktionieren sie auch in der Praxis? Das müssten die Hersteller anhand ordentlicher Studien mit Menschen belegen. Tatsächlich haben wir einige Studien zu den beiden Mitteln gefunden, bei denen die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip entweder das Rachen- beziehungsweise Nasenspray oder ein Scheinmedikament angewendet haben. Diese Art von Studien ist die Voraussetzung, um faire Ausgangsbedingungen für den Test zu schaffen. Beim genauen Hinsehen werfen diese Studien jedoch einige Fragen auf.3

Zu klein, zu schlecht

Für das Rachenspray mit Glycerin und Trypsin haben wir trotz intensiver Suche nur eine einzige Studie mit 46 Personen gefunden.4 Für zuverlässige Aussagen sind das definitiv zu wenige. Auch die Rahmenbedingungen der Studie erachten wir als nicht aussagekräftig: Die 46 Teilnehmer wurden unter Laborbedingungen mit einer einzigen Art Erkältungsvirus infiziert, direkt auf die Nasenschleimhaut. Ob so gewonnene Ergebnisse auf Alltagsbedingungen übertragbar sind, erscheint uns doch sehr fraglich – zum Beispiel gibt es über 30 verschiedene „Erkältungsviren“.
Hinzu kommt: Die Ergebnisse sind alles andere als überzeugend. Die Studie untersuchte hauptsächlich die Zahl der Viren auf den Schleimhäuten, was aber noch nichts mit Erkältungsbeschwerden zu tun hat. Die sollten die Studienteilnehmer nebenbei noch selbst notieren. Wie aussagekräftig deren Aufzeichnungen sind, ist fraglich, denn jeder nimmt seine Beschwerden unterschiedlich wahr.

Rosinenpickerei

Die Autoren dieser Studie berechneten aus den Daten zwar einen deutlichen Vorteil für das Rachenspray, berücksichtigten dabei aber nicht alle vorliegenden Daten. Wir haben nachgerechnet und kommen dabei zu dem Ergebnis, dass die geringen Unterschiede zwischen dem Rachenspray und dem Scheinmedikament genauso gut auch Zufallsbefunde sein können. Was wirklich zählt, also ob das Spray eine Erkältung verhindern kann, das wurde gar nicht erst untersucht.

Algen auch nicht besser

Sind denn die Ergebnisse für das Nasenspray auf Algenbasis besser? Zumindest finden wir hier mehr und größere Studien, die unter Alltagsbedingungen liefen. Die Untersuchungen nahmen insgesamt rund 600 Teilnehmende mit beginnender Erkältung unter die Lupe. Ob das Mittel die Ansteckungsgefahr verringert, wurde nicht getestet. Nur in einer sehr kleinen Studie deutet sich eine Minderung der Erkältungsbeschwerden an. Allerdings konnten weitere Untersuchungen mit Kindern und Erwachsenen diesen vermeintlichen Erfolg nicht bestätigen, auch wenn die Hersteller versuchen, die Ergebnisse schönzurechnen.3

Nutzen – nur für den Hersteller

Beide Mittel versprechen in der Werbung also mehr, als sie tatsächlich halten können. Dabei haben sie einen stolzen Preis: Nach Herstellerangaben müssen Verbraucherinnen und Verbraucher für eine kleine Sprühflasche mit 20 ml – je nach Präparat – zwischen 11 und knapp 20 € zahlen. Offensichtlich ist der Leidensdruck durch Erkältungen in unserer Leistungsgesellschaft so hoch, dass sich damit satte Gewinne machen lassen. Selbst mit Mitteln, deren Wirksamkeit zweifelhaft ist.

Und die Moral von der Geschicht‘

Wie es jetzt mit dem Ritter weiterging? Er gab den Kampf gegen die Erkältung auf, verlegte sich aufs ordentliche Händewaschen5 und kaufte sich von dem vielen gesparten Geld ein schönes Schloss mit einem gemütlichen Sofa, auf dem er seine gelegentlichen Erkältungen mit einem leckeren Tee aussitzen konnte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann schnieft er auch noch heute hin und wieder.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.12