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Kein Sturz … keine gebrochene Hüfte

Angeblich können Medikamente dafür sorgen, dass im Alter seltener das Hüftgelenk bricht. Eine neue Studie belegt aber, dass diese Art der Vorbeugung wenig nützt. Empfohlen werden vielmehr körperliche Bewegung, gesunde Ernährung und Verzicht auf Rauchen.

Ein gebrochener Oberschenkelhals wird heutzutage meist durch ein künstliches Hüftgelenk repariert, aber gerade im Alter sind die Belastungen durch Narkose und Wundheilungsstörungen hoch. Vor allem aber kommen Ältere nach der OP nur schwer wieder auf die Beine. Seit Jahren wird daher versucht, Patienten mit hohem Risiko für Brüche zu identifizieren, und ihnen vorbeugend Medikamente zu geben, z.B. Bisphosphonate. Als Barometer, um das Risiko von Brüchen vorherzusagen, gilt seit Langem die Knochendichte. Im Alter verringert sie sich, was die Knochen poröser und damit zerbrechlicher macht. Man spricht daher auch von einer Osteoporose. Eine neue Studie stellt den Nutzen der Behandlung mit Medikamenten in Frage.1

Wann eine Osteoporose besteht, wurde 1994 in einer Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt. Darin heißt es auch, dass die Osteoporose der Hauptgrund für Knochenbrüche bei älteren Menschen ist: je niedriger die Knochendichte, desto größer die Gefahr für Brüche.

Interessenkonflikte deutlich

Die Erarbeitung dieser Richtlinie hatten mehrere Pharmafirmen mitfinanziert.2 Schon ein Jahr nach der Veröffentlichung kam das erste Bisphosphonat (Alendronat) auf den Markt.

2008 wurde von der WHO das Internetprogramm FRAX® vorgestellt. Per Fragebogen soll sich die Wahrscheinlichkeit bestimmen lassen, in den nächsten zehn Jahren einen Knochenbruch zu erleiden. Außer der Knochendichte erfragt FRAX® Alter, Geschlecht, Gewicht, den Konsum von Alkohol und Nikotin sowie die individuelle Krankengeschichte. So will man Frauen und Männer mit einem hohen Risiko für Brüche identifizieren, die von einer Medikation profitieren könnten. FRAX® haben Ärztinnen und Ärzten seit 2011 über 10 Millionen mal verwendet, und in der Folge wurde vielen als Risikopatienten eingestuften Menschen Medikamente verschrieben.

Zu wessen Nutzen?

Die oben genannte Studie1 weist nun darauf hin, dass das FRAX®-Diagnostiktool eng mit kommerziellen Interessen verbunden ist: Sowohl die Knochendichtemessung als auch der Verkauf „knochenstärkender“ Medikamente sind ein großes Geschäft. Nicht zufällig sponsern Pharmafirmen in den USA seit Jahren Kampagnen, die Frauen ab 50 zum vorbeugenden Knochendichte-Screening aufrufen.

Dabei hält sich der Nutzen eines solchen Screenings in Grenzen. Denn die Dichte der Knochen ist nur ein Risikofaktor für Brüche. Bei weniger als einem von drei Hüftbrüchen sind nämlich poröse Knochen die eigentliche Ursache. Zu Hüftbrüchen kommt es, weil jemand stürzt, was vor allem älteren Menschen passiert, wenn sie z.B. unter Schwindel oder niedrigem Blutdruck leiden. Das Sturzrisiko einer 85-Jährigen ist 4-mal so hoch, wie das einer 55-Jährigen.3 Wer hingegen nicht stürzt, bricht sich auch nicht die Hüfte – selbst bei zerbrechlichen Knochen. Besonders wichtig ist deshalb, das Sturzrisiko gering zu halten.

Wenn Ärzte eine Gleichgewichtsstörung feststellen, sagt das mehr über das Risiko für einen Hüftbruch aus, als wenn sie eine Osteoporose diagnostizieren. Zudem verunsichert diese Diagnose oft: Die Menschen agieren noch vorsichtiger und sind dadurch oft auch weniger aktiv und verängstigt, erhöhen also ihr Risiko.4

Den Nutzen von Arzneimitteln zur Knochenstärkung halten die Autoren der neuen Veröffentlichung für verhältnismäßig gering, nachdem sie 23 Studien zur vorbeugenden Wirkung von Bisphosphonaten ausgewertet hatten. Diese Medikamentengruppe wird am häufigsten zur Verringerung des Knochenabbaus verordnet. Das Ergebnis: Um einen Hüftbruch zu verhindern, müssten 175 Frauen drei Jahre lang ein Bisphosphonat einnehmen – inklusive unerwünschter Wirkungen.

Im Alter ohne Nutzen?

Doch ausgerechnet die Altersgruppe mit dem größten Risiko für einen Hüftbruch scheint von diesen Medikamenten gar nicht zu profitieren. Zwei von drei Hüftbrüchen passieren über 75-Jährigen. Aber nur 3 der 23 Studien berücksichtigten diese Altersgruppe, und keine konnte einen eindeutig vorbeugenden Nutzen belegen. Unklar ist auch, wie lange für einen optimalen Schutzeffekt behandelt werden muss. Eine weitere Lücke: Wie Bisphosphonate bei Männern wirken, wurde gar nicht erst untersucht. Dabei sind ein Drittel der Patienten mit Hüftbrüchen ältere Männer.

Während der Nutzen also begrenzt und für die Gruppe mit dem höchsten Risiko fraglich ist, drohen schädliche Arzneimittelwirkungen. Wer Bisphosphonate einnimmt, muss unter anderem mit Magen-Darm-Problemen rechnen, mit Übelkeit, Erbrechen, Verdauungsschwierigkeiten und Schmerzen in der Speiseröhre. Bis zu eine von fünf Patientinnen brechen die Therapie deshalb ab. Schwerwiegender sind Auswirkungen auf die Knochensubstanz.5,6 Denn genau das Gegenteil des Erwünschten kann passieren: Manche Oberschenkelbrüche und Kiefernekrosen gehen auf das Konto von Bisphosphonaten.

Besonders kritisch zu bewerten sind Präparate mit Strontiumranelat. Die Datenlage zum Nutzen ist auch hier lückenhaft. Gleichzeitig steht die Arznei im Verdacht, Herz- und Gefäßkrankheiten zu begünstigen. Laut der arznei-telegramm® Datenbank ist der Wirkstoff höchst problematisch: „Angesichts der potenziell lebensbedrohlichen Risiken erachten wir die Nutzen-Schaden-Bilanz von Strontiumranelat seit Markteinführung als negativ. Uns ist nicht nachvollziehbar, warum das Mittel bei dieser Datenlage überhaupt zugelassen werden konnte und immer noch im Handel ist.“

Auch der Versuch, Knochen mit Nahrungsergänzungsmitteln zu stärken, ist nicht nur weitgehend nutzlos,7 er kann auch die Gesundheit gefährden. Bei 1.000 Patienten, die Calcium mit oder ohne Vitamin-D einnehmen, kommt es innerhalb von fünf Jahren zu sechs zusätzlichen Herz­infarkten oder Schlaganfällen.1

Gut wirksam und ohne größere Risiken sind Bewegung und ein gezieltes Training, um Stürzen vorzubeugen. Das kann das Risiko für einen Hüftbruch um rund 60 Prozent senken. Darum lautet die Empfehlung: im Alter aktiv bleiben, Stürze vermeiden durch Muskel- und Gleichgewichtstraining. Übrigens: Rauchen erhöht das Risiko für Brüche. Und wie GPSP bereits beschrieb, gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die die Sturzgefahr mindern.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2015 / S.04