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Reizdarm: Was macht die Behandlung so schwierig?

Chronische Verdauungsbeschwerden

Blähungen, Durchfall, Verstopfung: Unser Verdauungssystem ist anfällig für Störungen. Das kann unangenehm und lästig sein, ist aber noch lange nicht krankhaft. Wenn sich die Probleme häufen und chronisch werden, kann es sich um das Reizdarm-Syndrom handeln, eine verbreitete, aber an sich gutartige Erkrankung.

Am besten geht es uns, wenn Magen und Darm brav ihren Dienst tun und nicht stören. Doch unser Magen-Darm-System ist aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben sehr komplex gesteuert und kann durch viele Einflüsse durcheinander geraten. Psychische Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Viele Menschen kennen solche Tage, an denen sich ihre Verdauungsorgane mit Völlegefühl nach dem Essen, Blähungen, Verstopfung, Durchfall oder krampfartigen Schmerzen unangenehm bemerkbar machen. Wegen solcher Befindlichkeitsstörungen muss man nicht gleich zum Arzt gehen.

Was ist krank, was ist normal?

Sobald sich die Symptome aber häufen und zur Dauerbelastung werden, sollte ein Arzt nach der Ursache suchen. Vielleicht ist beispielsweise eine Stoffwechselerkrankung oder ein Darmtumor die Ursache. Sind solche ernsthaften Erkrankungen ausgeschlossen, kann es sich um das Reizdarm-Syndrom handeln.

Typische Beschwerden sind Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Nachlassen der Beschwerden nach dem Stuhlgang, Völlegefühl und Blähungen. Sie sind von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich ausgeprägt. Nur wenn die Probleme in den letzten drei Monaten an wenigsten drei Tagen pro Monat aufgetreten sind und sich eindeutige körperliche Ursachen ausschließen lassen, kommt die Diagnose „Reizdarm-Syndrom“ in Frage.1,2

Mediziner nennen das eine Ausschlussdiagnose, weil sie zwar mit Hilfe von Ultraschall und anderen Verfahren bestimmte Erkrankungen ausschließen, die Diagnose „Reizdarm“ aber z.B. nicht anhand bestimmter Messwerte als eindeutiges Krankheitsbild sichern können. Eine Darmspiegelung gehört bei Männern und Frauen unter 50 Jahre übrigens nicht routinemäßig zum Untersuchungsspektrum dazu.

Der Reizdarm ist im Grunde nicht eine einzelne Krankheit, sondern die zusammenfassende Bezeichnung von verschiedenen Beschwerden. Er macht sich meist bereits im Alter zwischen 20 und 30 bemerkbar und kommt bei Frauen doppelt so häufig vor wie bei Männern.1,2 Die Erkrankung ist an sich gutartig und verkürzt nicht die Lebenserwartung, beeinträchtigt aber die Lebensqualität oft erheblich. Zudem belastet es viele Menschen, wenn sie eine Reihe manchmal unangenehmer oder schmerzhafter Untersuchungen hinter sich haben und ihnen dann erklärt wird, sie „hätten nichts“. Zwar sind alle Befunde normal, aber die Beschwerden sind da.

Ursache unbekannt

Über die Ursachen der Störungen weiß man leider nicht allzu viel. Wahrscheinlich gibt es verschiedene Auslöser. Veränderungen des so genannten „autonomen“ Nervensystems, das die Darmbewegungen steuert, könnten eine Rolle spielen. Als ziemlich sicher gilt inzwischen, dass Betroffene Signale aus dem Magen-Darm-Bereich anders empfinden und insbesondere ihre Wahrnehmungsschwelle für Schmerzen im Bauch gesenkt ist. Seelische Konflikte und Beeinträchtigungen werden bei Menschen mit einem Reizdarm-Syndrom öfters beobachtet. Wer wegen chronischer Verstopfung über längere Zeit und in hohen Dosierungen Abführmittel eingenommen hat, kann ebenfalls unter einem Reizdarm leiden. Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Pilze im Darm spielen als Ursache keine Rolle.

Behandlung

Da man kaum etwas über die eigentlichen Ursachen weiß, gibt es auch keine wissenschaftlich abgesicherte Therapie. Ärzte versuchen daher vorrangig, die Symptome zu lindern, die besonders lästig sind. Dabei sind Medikamente nur eine Strategie, denn die Behandlung beruht auf drei Säulen: Information, medikamentöse Therapie und psychologische Verfahren.

Information: So ungewöhnlich es sich anhört: Mehr über das Reizdarm-Syndrom zu wissen, kann schon helfen – vor allem die Gewissheit, dass keine schwere oder bösartige Erkrankung zu Grunde liegt. Wenn beispielsweise Krebs ausgeschlossen wurde, ist es nicht notwendig, immer wieder neue, belastende Untersuchungen vom Arzt zu erbitten oder über sich ergehen zu lassen. Sie würden keine weiteren Erkenntnisse bringen.

Der Nutzen von bestimmten Ernährungsempfehlungen oder einer besonderen „Reizdarm-Diät“ ist nicht erwiesen. Dennoch kann sich, je nach Art der Beschwerden, die eine oder andere Ernährungsumstellung lohnen. Da heißt es ausprobieren: Es kann helfen, auf fette Speisen, Alkohol, Hülsenfrüchte und andere Ballaststoffe zu verzichten.2 Die oft propagierte ballaststoffreiche Kost kann selber Blähungen verursachen und verschlimmert da­durch manchmal sogar die Beschwerden – vor allem wenn Bauchschmerzen das Hauptproblem sind.

Medi­ka­mente: Leider gibt es kein Arzneimittel, das zuverlässig das gesamte Ärgernis beseitigt.1,3 Die Auswahl eines Medikamentes richtet sich daher nach den Symptomen, die besonders lästig oder unangenehm sind. Die Suche nach dem besten Arzneimittel wird vor allem durch zwei Faktoren behindert. Zum einen haben alle Therapien gegen den Reizdarm zumindest anfangs einen sehr hohen Plazeboeffekt. Zum anderen ist es wegen des chamäleonartig wechselnden Beschwerdebilds sehr schwierig, aussagekräftige klinische Studien durchzuführen.

Bei Durchfall kann gelegentlich Loperamid helfen, wegen unerwünschter Wirkungen eignet es sich jedoch nicht zur Dauereinnahme.
Gegen lästige Blähungen wird oft empfohlen, pflanzliche Mittel mit Pfefferminz- oder Kümmelöl auszuprobieren.4 Auch hier ist die Datenlage unbefriedigend. Der Wirkstoff Dimeticon ist ein so genannter Entschäumer, der Gasansammlungen im Darm vermindern soll. Aber auch dessen Wirksamkeit ist nicht gut belegt. Nur wenn Schmerzen das alles beherrschende Symptom sind, kann ein Behandlungsversuch mit einem krampflösenden Mittel (z.B. Mebeverin) gemacht werden.

Medikamente gegen Schmerzen und starken Durchfall sollten nur zeitlich begrenzt, einige Mittel zur Stuhlregulierung können längerfristig eingenommen werden. Bei Darmträgheit und Verstopfung kann Lactulose den Stuhlgang fördern, sie kann aber auch schmerzhafte Blähungen verursachen. In diesem Fall ist Macrogol die bessere Wahl.

Andere Methoden: Für Verfahren der alternativen Medizin gibt es keine überzeugenden Wirksamkeitsbelege. Manche Menschen probieren es mit Bakterienkulturen (Probiotika, siehe GPSP 2/2008, S. 3), Aloe vera (GPSP 3/2009, S. 7) oder Akupunktur. Auch hier gibt es beim Reizdarm-Syndrom hohe Plazeboeffekte, aber keine tatsächlichen Nutzenbelege. Entspannungsmethoden wie autogenes Training, Biofeedback-Verfahren und andere Techniken zur Stressminderung nützen manchem. Das gilt auch für Verhaltenstherapie und andere psychotherapeutische Strategien.5,6

Das Reizdarm-Syndrom ist eine chronische beziehungsweise häufiger wiederkehrende Erkrankung mit sehr unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Beschwerden wie Durchfall oder Verstopfung. Es ist genauso schwer zu diagnostizieren wie zu behandeln. Leider gibt es keine gesichert wirksamen Arzneimittel oder andere Methoden, die dauerhaft helfen. Daher wird versucht, vorrangig die besonders unangenehmen Beschwerden anzugehen. Alle Methoden haben dabei – zumindest anfangs – einen hohen Plazeboeffekt. Eines aber ist gut zu wissen: Das Reizdarm-Syndrom ist insgesamt eine gutartige Erkrankung, auch wenn es die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2010 / S.06