Bund fürs Leben: Warum Bakterien unsere Freunde sind
Bakterien haben keinen guten Ruf. Sie sorgen für Durchfall oder Pickel, ruinieren die Zähne, lösen tödliche Infektionen aus. Und dann ein Buch mit dem Titel „Bund fürs Leben. Warum Bakterien unsere Freunde sind“? Das macht neugierig.
Die Wissenschaftsjournalisten Hanno Charisius und Richard Friebe beschreiben bilderreich, wie unser Leben von der Wiege bis zur Bahre mit Bakterien verflochten ist. Diese Mikroorganismen beeinflussen unser Immunsystem, den Hormonhaushalt und manipulieren möglicherweise sogar die Psyche. Ohne die Billionen Bakterien im Darm würden wir schlichtweg verhungern. Auf der Haut, im Mund, im Magen, in der Vagina, auf dem Penis: Es wimmelt von Bakterien. Einfach überall.
Die provokante These des Buchs: Viele Mikroben sind nützlich, der moderne Hygiene- und Desinfektionswahn deshalb langfristig eher ungesund. Was dahinter steckt, erfahren wir im Hauptteil des Buchs, in dem es um konkrete Auswirkungen von Bakterien auf einzelne körperliche Funktionen geht, zum Beispiel das Tumorwachstum oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems.
Mehrere Kapitel beginnen mit dem Portrait eines Forschers, der faszinierende Hypothesen aufstellt. Detailliert werden Laborexperimente geschildert, bevor beinahe regelhaft alles in einem ernüchternden Fazit mündet: Nichts Genaues weiß man nicht. In den meisten Fällen bleibt es bei der Vermutung, welche Rolle eine Bakterienart im Körper spielt. Und dementsprechend ziehen sich Begriffe wie „könnte“, „dürfte“, „möglicherweise“ durch das gesamte Buch.
Wer das Buch liest, um besser die guten von den schlechten Bakterien unterscheiden zu können, erfährt, dass manche vielleicht sogar die Rolle wechseln: mal sind sie gut, mal eher nicht. Was es leibhaftig bedeutet, man solle „Nett sein zu seinen Mikrobenfreunden“ und wie man nur die Guten fördert, erschließt sich daher nicht unbedingt. Aber: Das Buch ist eine erstaunliche Fundgrube. Die Darmsanierung wird ebenso kritisch unter die Lupe genommen wie Probiotika, Geschäftemacherei mit den
„Effektiven Mikroorganismen EM“ oder Internetangebote diverser Labore, die gegen Bezahlung aus eigener Tasche die Darmflora analysieren. Ein Wermutstropfen: Der Wissensstand zu den einzelnen Themen wird ungleich gewichtet. Das Buch stellt die Erkenntnis aus Studien mit vielen tausend Menschen sehr nüchtern dar, während Laborexperimente mit wenigen Mäusen den Eindruck erwecken, man stünde kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch. Die Begeisterung der Autoren für die Forschung spürt man in jeder Zeile. Das macht die Lektüre unterhaltsam. Die sorgfältigen Quellenangaben ermöglichen es, sich in die wissenschaftlichen Originalpublikationen zu vertiefen.
Stand: 1. August 2014 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2014 / S.16