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„Essstörungen“

Essen macht nicht nur satt. Essen ist ein Genuss. Dafür hat die biologische Evolution gesorgt, sie sichert so die lebenswichtige Nahrungsaufnahme. Aber gerade in reichen Ländern und wohlhabenden Schichten ist das Verhältnis zum Essen oft gestört: Viele plagen sich mit Diäten, manche essen bedrohlich wenig, erbrechen das Gegessene oder leiden unter Ess-Anfällen. Der neue Ratgeber „Essstörungen“ erklärt, durch welche seelischen Probleme die Nahrungsaufnahme entgleisen kann und was Betroffene und ihr persönliches Umfeld machen können.

Nolte A (2013) Essstörungen. Hilfe bei Anorexie, Bulimie und Binge-Eating. Berlin: Stiftung Warentest 160 S., 18,90 €

In Deutschland hat jedes fünfte Kind im Alter von 11 bis 17 Jahren Symptome einer Essstörung, darunter sind doppelt so viele Mädchen wie Jungs. Noch. Denn zunehmend mehr männliche Jugendliche probieren Diäten aus, berichten von Essanfällen, Erbrechen oder Missbrauch von Abführmitteln.

Der Ratgeber der Stiftung Warentest vermittelt anschaulich die ersten Anzeichen von Magersucht, Bulimie und der „Binge Eating“-Störung (Fressanfälle) und macht deutlich, dass Betroffene ein aufmerksames Umfeld brauchen: Möglichst früh sollten ihre Angehörigen, der Freundeskreis, Lehrerinnen oder Lehrer Warnzeichen beachten und „Hilfe holen“. So lautet einer der lebensnahen Ratschläge der Buchautor in Anke Nolte, der es immer wieder gelingt, Klartext zu reden: „… schleppen Sie ihr Kind zur Not auch gegen dessen Willen zum Arzt oder in die Beratungsstelle“ (S.19). Welche teilweise anonymen Anlaufstellen es im Internet und per Telefon gibt, steht in „Essstörungen“ natürlich auch – und wer möchte, kann mit einer Check- Liste sein Essverhalten überprüfen. Das letzte Kapitel widmet sich der Prophylaxe, denn eine Essstörung droht insbesondere Menschen, die sich in ihrem Körper und in ihrem Leben nicht wohlfühlen. Und das kann man ändern: Es geht unter anderem darum, dem Diätwahn zu widerstehen, ein gerade in der Pubertät wackeliges Selbstwertgefühl zu stärken und die von Medien propagierten Dünnheits-Ideale zu hinterfragen. Keine leichte Aufgabe, wenn eine Gesellschaft ein Höchstmaß an Leistung und Selbstkontrolle verlangt.

Strikte Selbstkontrolle ist nämlich eines der Persönlichkeitsmerkmale, die bei magersüchtigen Menschen auffallen: „Diese Kontrolle gibt ihnen das Gefühl, eigenständig und unabhängig zu sein und alles im Griff zu haben. Sie sind oft sehr leistungsorientiert, sehr pflichtbewusst und ausgestattet mit einem ausgeprägten Ordnungssinn …“ (S. 34). Wer an Magersucht (Anorexia nervosa) leidet, mag vielleicht an den hohen Anforderungen in Schule oder Beruf verzweifeln, er beherrscht aber seinen Hunger und seinen Körper – mit fatalen Folgen. Außer vorübergehenden hormonellen Störungen können Herz und Nieren nachhaltig Schaden nehmen. Und die Selbstwahrnehmung täuscht: Betroffene empfinden sich viel dicker als sie sind. Das verführt zu weiterem Hungern und kann bei Anorexia nervosa in einen lebensbedrohlichen Zustand münden. Der muss von Fachleuten in einer spezialisierten Klinik behandelt werden.

Weniger bedrohlich ist eine Bulimie- Erkrankung, bei der Essanfälle mit Erbrechen abwechseln. Und Menschen mit heftigen Essanfällen („Binge Eating“) leiden vor allem unter ihrem Übergewicht.

Auf die Frage, wie es zu solchen Störungen kommt, gibt es keine einfache Antwort. Vieles spielt zusammen, viele Überlegungen sind hypothetisch. Das gilt auch für die Rolle der Vererbung und Daten aus der Hirnforschung. Der Ratgeber hätte hier kritischer informieren können.

Sehr deutlich beschreibt Anke Nolte, warum es im Familienkreis keine Schuldzuweisungen geben darf, wenn etwa der Sohn Zuoder die Tochter eine Essstörung hat. Wichtig sind offene Aussprachen, frühe Hilfestellungen – die das Buch bereit hält – und erprobte Behandlungskonzepte aus der Psychotherapie. Der Stellenwert von Medikamenten wie Antidepressiva und Neuroleptika wird als sehr gering veranschlagt.1 Sie können eine vorübergehende Stütze der Therapie sein, „heilen“ aber einen magersüchtigen Jugendlichen nicht. Dazu bedarf es vor allem psychotherapeutischer Unterstützung.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2013 / S.16