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Bio-Wetterfrösche

Wissenschaft oder Orakeln mit Kaffeesatz?

Lässt sich vorhersagen, wie wir uns am nächsten Tag fühlen werden? Das zu können, behauptet zumindest der Deutsche Wetterdienst unter dem Stichwort Biowetter. Auch der Arzneimittelhersteller Ratiopharm bewirbt seine Medikamente mit Biowetterprognosen. Unbestritten ist, dass Menschen auf verschiedene Wetterlagen reagieren. Aber für derartige Prognosen gibt es keine Grundlagen.1

„Insbesondere kurzfristige Änderungen im Wetterablauf sind ein Stressor für den Organismus“, versichern uns die Experten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und sprechen von einer Biotropie des Wetters.2 Für Personen mit erhöhtem oder niedrigem Blutdruck, mit rheumatischen oder asthmatischen Erkrankungen sei eine „von der Norm abweichende Häufigkeit von Zwischenfällen“ wissenschaftlich nachgewiesen. Der DWD verbreitet deshalb tägliche Prognosen für das Biowetter und warnt vor unruhigem Schlaf, Gelenkschmerzen oder Konzentrationsstörungen.
In der Tat beeinflussen Wetterphänomene unser Wohlbefinden, z. B. Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Damit uns diese nicht zu sehr beeinträchtigen, haben wir warme Stuben und Regenmäntel. Schwankungen des Luftdrucks und anderen Faktoren dagegen sind wir schutzlos ausgeliefert.

©Thomas Kunz

Das ist einer der Gründe, weshalb sich viele Menschen als wetterfühlig bezeichnen. Aber jeder meint damit etwas Anderes: Den einen zieht es im Knie bei Tiefdruck, den anderen bei Hochdruck. Den einen bei viel Regen, den anderen bei Lufttrockenheit. Sonnenschein empfinden die meisten als angenehm.

Wie allerdings die unterschiedlichen Reaktionen entstehen, ist bisher unklar, obwohl über den Einfluss des Wetters auf den Körper weltweit geforscht wird. Die so genannte Medizinmeteorologie steht noch am Anfang und erlaubt bisher keine Prognosen für das persönliche Befinden.

Und welche Konsequenzen haben die gegenwärtigen Biowetter-Vorhersagen? Der DWD verspricht: „Vorhersagen für Wetterfühlige informieren frühzeitig [… und] bieten damit die Möglichkeit, den Wettereinfluss in die individuelle Tagesplanung einzubeziehen. […] Damit können nicht nur Risiken für die Gesundheit vermieden, sondern auch die allgemeine Lebensqualität erheblich gesteigert werden“.3

Doch was bedeutet das für bestimmte Zielgruppen, etwa Menschen mit Neigung zu Migräne? Sich vorsorglich von der Arbeit abmelden, oder schon mal Migränemedikamente schlucken? Und was fangen Personen mit niedrigem Blutdruck mit folgender Prognose an: „Vorhersage für den 5. Oktober: Subjektives Befinden leicht ungünstig“? Jörg Kachelmann vom DWD-Konkurrenten Meteomedia findet keine freundliche Umschreibung für die Lebensplanung mittels Biowetter: „Dies ist aktive Beihilfe zur Hypochondrie und unnötigem Medikamentenkonsum“.1 Da hat er wohl Recht.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2009 / S.07