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© lechatnoir/iStock

ASS zur Vorbeugung gegen Herzkrankheiten?

Sehr geehrte Damen und Herren, dem Bericht „Finger weg von ASPIRIN“ in der Welt am Sonntag vom 7.11.2021 entnehme ich, dass ein von der Pharmaindustrie unabhängiges US-Gremium dringend abgeraten habe, ASS einzunehmen. Ich bin im neunten Lebensjahrzehnt und nehme auf Empfehlung meines Hausarztes (Internist) seit Jahren täglich ASS 100. Muss ich besorgt sein? Ich bin herzgesund jedoch Diabetiker 2 mit guter Einstellung durch Metformin 500. Für einen kurzen Hinweis aus Ihrer Sicht wäre ich sehr dankbar. A. D.

GPSP: Vielen Dank für Ihre spannende Frage. Wir bitten aber um Ihr Verständnis, dass es für uns nicht möglich ist, Ihnen einen individuellen Rat aus der Ferne zu geben, ohne genaue Kenntnis Ihrer Diagnosen und den genauen Grund für die Gabe von niedrig dosiertem ASS.

In dem Artikel geht es in erster Linie um Menschen ohne atherosklerotische Vorerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Durchblutungsstörungen der Beine („Schaufensterkrankheit“) et cetera. Sollen sie im Sinne einer Primärprävention anfangen, prophylaktisch niedrig dosiertes ASS einzunehmen? Die Antwort: Bei Menschen ab 60 Jahren wird der geringe Nutzen von ASS in der Daueranwendung durch das Risiko einer Blutungskomplikation aufgewogen. Niedrigdosiertes ASS führt jedes Jahr zu etwa 0,2% bedeutsamen Blutungen. Über zehn Jahre Anwendung beträgt die Wahrscheinlichkeit von Blutungen 2% (trifft also jeden 50sten Anwender).

Das Blutungsrisiko steigt mit dem Lebensalter, wenn Sie weitere Medikamente einnehmen (etwa bestimmten Antidepressiva) und mit dem Vorliegen von bestimmten Erkrankungen (zum Beispiel Magengeschwür). Dem (geringen) Risiko von ASS muss also ein angemessener Behandlungsnutzen gegenüberstehen, um die Verordnung zu rechtfertigen. Das ist in der sogenannten Primärprävention oft nicht der Fall.

Bei Diabetes ist die Situation speziell, da die Erkrankung die Gefäße schädigt. Da werden die behandelnden Ärzte und Ärztinnen großzügiger sein mit ASS, auch in der Primärprävention. Das liegt daran, dass Menschen mit Diabetes ein deutlich höheres Risiko für Herzinfarkt & Co. haben als die übrige Bevölkerung. Die Leitlinien sagen, dass eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen und dies mit den Patienten gebührend besprochen werden soll. Wenn Ihr Hausarzt oder Internist das nicht getan hat, dann fordern Sie dieses Gespräch ein (Nutzen versus Risiko).

Anders sieht die Situation aus, wenn Sie bereits einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine andere arterielle Durchblutungsstörung hatten. Dann ist der Nutzen von ASS in vielen Fällen größer einzuschätzen als das Risiko. Es gibt allerdings nur wenige Langzeitstudien zu diesem Thema und schon gar keine bei sehr betagten Menschen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2022 / S.24