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Alles hygienisch oder was?

So rockt man die Löwen!

Die „Höhle der Löwen“ ist ein beliebtes Fernsehformat, in dem sich Geschäftsgründer-Novizen einer Jury aus echten oder selbst ernannten Business-Erfolgsmenschen stellen. Das Ziel: Die Jury für die Finanzierung der eigenen Geschäftsidee-Idee gewinnen – Erfolgsbeteiligung des Schiedsgerichts inklusive. Die erfinderischen Gründer haben mit ihrem so genannten Hygiene-Stick „Glasello®“ nach eigener Aussage, „die Bude gerockt“.1 Und sie sind damit mittlerweile an den Kassen von Kaufhäusern wie Karstadt angekommen.

©Thomas Kunz

An welchen Unsinn in Sachen „keimfrei“, „hygienisch“, „steril“ haben wir uns nicht schon gewöhnen müssen: Hygienespüler für die Waschmaschine, Desinfektionsreiniger für Bad und Küche, Haut- und Hände-Desinfektionslösungen, einfach überall müssen böse Krankheitskeime bekämpft werden.

Aber damit nicht genug. Es gibt passend zur Schnupfenzeit etwas Neues: Glasello®, den Desinfektionsstift – zwei Stück zum Preis von 9,99 €. Der Stift soll an Gläsern, Getränkedosen und am Essbesteck Viren und Bakterien bekämpfen, und das innerhalb von Sekunden. Zu den attackierten Feinden gehören Lippenherpes-Viren, Erkältungsviren und diverse bakterielle Erreger.

Ein Glas an der Bar, ein Besteck im Restaurant oder das Geschirr am Kaffeetisch von Freunden sieht nicht so toll aus? Vielleicht traut man der Sauberkeit außer Haus grundsätzlich nicht? Kein Problem! Einfach den Glasello® über Glasrand, Messer oder Gabel ziehen, und schon ist alles sauber. Der Stift soll rundum vor Keimen schützen.

Die Bestandteile dieses Desinfektionsmittels sind Alkohol (Etha­nol) und ätherische Öle aus Salbei und Lavendel. „Natür­lich“ ist Glasello® selbstverständlich auch: vegan, pflanzlich, und die Erfinder verzichten auf künstliche Konservierungsstoffe oder Enzyme.2 Kunststück: Da Ethanol meist aus der Vergärung pflanzlicher Grundstoffe wie Getreide gewonnen wird, ist der Glasello® so vegan wie ein klarer Korn. Da in Alkohol so gut wie nichts wachsen kann, benötigt der Stift selbstverständlich keine Konservierungsstoffe. Ethanol macht‘s möglich.

Und was ist nun dran an der Gesundheitsprophylaxe? Wo ist der Nachweis einer Wirksamkeit? Fehlanzeige! Der (grammatikalisch nicht immer ganz korrekte) Text der Internetpräsentation3 der anbietenden Firma schürt vor allem Ängste:

„Dieser möglichen Gefahr ist jeder einzelne oftmals ganz unbewusst ausgesetzt. Ein optisch nicht sauberes Glas, eine Getränkedose die durch eine Vielzahl von „Händen“ gegangen ist oder auch ein schmutzig wirkendes Essbesteck sind bekannte Situationen, die einem oftmals vor der Benutzung zu denken geben. Die Ursachen der Verunreinigung können beispielsweise in nicht eingehaltenen chemischen Reinigungsvorgängen, anhaftenden Fettreste, Mikroorganismen, falsche Trocknungsvorgänge, Verschmutzungen durch falsche Reinigungstemperaturen, falscher Lagerung sowie leider auch manchmal im menschlichem Versagen im Umgang mit Geschirr liegen. Und genau für solche Situationen, wenn das Bauchgefühl an den Verstand appelliert, haben wir dieses Produkt entwickelt und konzipiert.“

Warum ein schmutziges Glas etwa für die Übertragung von Lippenherpes an sich noch keine Gefahr darstellt? Die auslösenden Viren werden in der Regel durch direkten Hautkontakt übertragen. Sie können nur sehr kurze Zeit außerhalb des Körpers, zum Beispiel an Glasrändern, überleben. Ob Glasello® also überhaupt funktioniert, muss erst noch bewiesen werden.

So ist das eben, wenn Bauchgefühl an Verstand appelliert und dieser ausgeschaltet wird. Denn es reicht (uns) nicht, dass Keime in Labortests abgetötet werden. Uns ist der Nachweis wichtig, dass der Gebrauch von Glasello® tatsächlich Infektionen verhindert. Diesen Nachweis bleiben die Anbieter dem Verbraucher bisher schuldig.

Fazit

Und was tun, wenn in der Bar oder dem Restaurant das Glas nicht sauber gespült aussieht? Zurückgehen lassen! Oder die „Location“ wechseln …

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2017 / S.10