Zum Inhalt springen
© stevanovicigor/iStockphoto.com

Wie „Alternativmedizin“ Patienten gefährdet

Bei Schädigung passiert juristisch oft nichts

Praktisch jede medizinische Therapie hat mögliche Nebenwirkungen, wenn sie wirksam ist. Aufgabe von Ärzten, Apothekern und Behörden ist es, Nutzen und Risiken abzuwägen und Patienten hierüber aufzuklären. Im Bereich der sogenannten Alternativmedizin läuft es meist anders: Hersteller, Heilpraktiker, Heilpraktikerinnen, aber auch manche Ärztinnen oder Ärzte werben hier mit Versprechen, die wissenschaftlich nicht belegt sind – und gefährden damit oftmals ihre Patienten.

So auch der Heilpraktiker Klaus R.: Er behandelte Krebspatienten mit dem nicht zugelassenen und gefährlichen Mittel 3-Brompyruvat, das in den Zuckerstoffwechsel von Krebszellen eingreifen und sie „aushungern“ sollte. Das Mittel sei besser als jede Chemotherapie, warb er auf seiner Homepage – es wirke biologisch. Ein Ende hatte seine Quacksalberei erst, als drei Krebspatienten im Sommer 2016 starben: Das Landgericht Krefeld verurteilte R. im Juli dieses Jahres zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. „Die Kammer konnte einen erheblich fahrlässigen Umgang des Angeklagten mit dem Stoff 3-Bromopyruvat feststellen“, erklärte das Gericht. „So überprüfte der Angeklagte die Identität der gelieferten Substanzen nicht, verwendete eine grundsätzlich ungeeignete Waage, Infusionsflaschen waren unzureichend beschriftet und der Einsatz von 3-Bromopyruvat wurde mangelhaft dokumentiert.“

Trotz der Probleme verhängten die Richter kein Berufsverbot gegen den Heilpraktiker. Behörden hatten schon kurz nach den Todesfällen versucht, R. die weitere Ausübung seines Berufs zu untersagen, waren aber gescheitert. „Die Stadt Krefeld hat nun nach Abschluss aller im Verwaltungsverfahren erforderlichen Überprüfungen die für Herrn R. ausgestellte Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz widerrufen und den Inhaber mit Fristsetzung zur Rückgabe der Urkunde aufgefordert“, erklärte ein Pressesprecher nach langen Prüfungen Ende Oktober 2019. R. gab seine Urkunde inzwischen zurück. Der Heilpraktiker hätte auch rechtlich gegen den Entzug vorgehen und derweil weiter­arbeiten können.

Gesundheitsämter hätten „relativ wenig Eingriffsmöglichkeiten“, erklärte der Leiter des Gesundheitsamts in Berlin-Reinickendorf, Patrick Larscheid, im Zuge einer gemeinsamen Recherche des ARD-Magazins „Panorama“ und von MedWatch. „Es wird keine Qualität kontrolliert. Patientenschutz spielt überhaupt keine Rolle“, sagt er. Sonst müssten Amtsärzte die Systemfrage stellen. „Denn was soll das für eine Art von Heilung sein, die dort stattfindet, die es nicht auch im Krankenhaus oder einer Arztpraxis gibt“, fragt Larscheid. „Alternativmedizin“ sei ein schönes Wort, aber völlig ohne Inhalt. „Alternativmedizin existiert gar nicht“, sagt der Amtsarzt.

Seiner Einschätzung nach gebe es keinen anderen Bereich, wo Patienten derart gefährdet werden dürfen wie beim Besuch von Heilpraktikerpraxen. „Heilpraktiker werden einfach auf die Menschheit losgelassen, ohne dass sie eine Ausbildung haben müssen“, sagt er. Würstchenverkäufer seien viel stärker reguliert als Heilpraktiker. „Der Patient kann sich leider auf fast gar nichts verlassen“, argumentiert Larscheid.

Obwohl ähnliche Fälle erschreckend häufig auftreten, sahen die Richter in Krefeld keinen Grund, die Haftstrafe gegen R. zu vollstrecken. Derzeit laufen unter anderem in Bayern zwei Prozesse gegen Heilpraktiker, deren Krebspatienten womöglich noch leben würden, wenn sie mit erprobten Mitteln behandelt worden wären – und nicht mit Homöopathie, wie eine Brustkrebspatientin. Doch es handele sich „um einen absoluten Ausnahmefall“, dass ein Heilpraktiker eine „alternativmedizinische Chemotherapie“ anbietet, erklärte das Landgericht Krefeld. „Regelmäßig beschränken sich Heilpraktiker darauf, zu versuchen, die Folgen einer Chemotherapie abzumildern beziehungsweise die Patienten insoweit zu unterstützen“, behaupten die Richter. „Es ist daher nicht notwendig, zur Abschreckung oder Verhinderung weiterer Taten die Freiheitsstrafe zu vollstrecken.“

Ins Gefängnis muss hingegen nun der Ende-30-jährige „alternative“ Geschäftsmann Dennis H., der ein gefährliches Mittel verkauft hat und Erlöse im sechsstelligen Bereich erzielte, die er zudem nicht versteuerte. Es handelt sich um „Miracle Mineral Supplement“ (MMS) – eine ätzende Chlorverbindung, die als Bleichmittel oder zur Desinfektion von Swimmingpools eingesetzt wird. Behörden warnen aufgrund schwerer Zwischenfälle vor dem Mittel. Der Bundesgerichtshof bestätigte im Juli eine Haftstrafe gegen H.

Laut Staatsanwaltschaft hat dieser „die Gesundheit einer gro­ßen Zahl von Menschen gefährdet und aus grobem Eigennutz für sich einen Vermögensvorteil großen Ausmaßes“ erlangt. Auch Wasser könne tödlich sein, argumentierte der Verteidiger von H. vor dem Bundesgerichtshof. Bei MMS verhalte es sich wie bei allen anderen Stoffen – „das ist alles eine Frage der Dosierung“, sagte er.

Trotz der Haftstrafe zeigt auch dieser Fall, dass Geschäftemacher und Quacksalber in Deutschland oftmals jahrelang ihr Unwesen treiben können. H. verkaufte MMS ab 2008. Erst 2012 warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung vor dem Mittel. Im Mai 2013 kam es zu einer ersten Durchsuchung, nach der er seine Verkäufe jedoch fortführte. Auf Antrag des zuständigen Gewerbeaufsichtsamts warnte 2014 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor den Produkten von H., welche es als zulassungspflichtig und bedenklich einstufte. Zu Gunsten von H. hatte eine frühere Instanz auch berücksichtigt, dass H. sich „durch das zögerliche Verhalten der überörtlichen Behörden“ bestätigt gefühlt haben dürfte.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht die Probleme bei Heilpraktikern bislang nur sehr zögerlich an – so wurden die Prüfungsleitlinien vereinheitlicht. „Das BMG hat allerdings wahrgenommen, dass diese Maßnahmen teilweise als nicht ausreichend angesehen werden“, erklärte ein Sprecher gegenüber MedWatch und Panorama. „Umgekehrt wenden sich viele Menschen an das BMG, die auf Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker vertrauen. Sie setzen sich für diesen Berufsstand und seinen Erhalt ein.“ Eine mögliche Abschaffung des Heilpraktikerberufs sei verfassungsmäßig schwierig. Das BMG hat daher ein Rechtsgutachten zum Heilpraktikerrecht in Auftrag gegeben – „als Grundlage möglicher Handlungsoptionen“.

MMS
GPSP: 5/2019, S. 7

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2020 / S.22