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Wenn der Vorhang fallen soll …und Angehörige um Hilfe gebeten werden

Aktive und passive Sterbehilfe – dies beschäftigt derzeit die Medien, denn die Große Koalition will 2014 – ganz ohne Fraktionszwang – eine gesetzliche Regelung dazu erarbeiten.

Emmanuèle Bernheim
(2013) Alles ist gutgegangen. Berlin: Hanser, 206 S., 18,90 EUR

Wer versucht, all den öffentlich geführten, vielschichtigen Diskussionen, Artikeln, Filmen und Reportagen zu folgen, muss feststellen: Es strengt an, lähmt und man bleibt ratlos zurück. Es ist, als ob man versucht, einen Pudding an die Wand zu nageln. Aus dieser „ungeordneten Masse“ sticht das kürzlich erschienene Buch von Emmanuèle Bernheim „Alles ist gutgegangen“ hervor. Sie ist eine erfolgreiche französische Schriftstellerin und Drehbuchautorin.

In literarischer Form berichtet sie darin über Selbsterlebtes: Ihr 88-jähriger Vater André Bernheim bittet sie, ihm beim Sterben zu helfen. Sein schwerer Schlaganfall hat ihn diesen Entschluss fassen lassen – ihn, den vielseitig talentiertern, heiteren und sympathischen Selbstdarsteller, der das Leben mit all seinen Facetten so liebte und genoss. Nuèle – so nennt er seine Tochter – ist geschockt, doch sagt sie ihm Hilfe und Unterstützung zu. Fast ein Jahr dauert es von der Ankündigung bis zur Umsetzung. Die Tochter durchlebt eine schwierige Zeit, aber weder stellt sie seine Entscheidung in Frage noch sucht sie das Gespräch mit dem Vater. Dicht, temporeich, intensiv und bildreich wie in einem fesselnden Film beschreibt die Tochter dann den Lauf der Dinge – bis zur Reise ihres Vaters in die Schweiz, wo dann sein Vorhang fällt. Mit großer Offenheit und frei von moralischer Wertung erzählt die Autorin, welch unendliche Zumutung der Wunsch des Vaters für die eingeweihte Familie und auch für eingeweihte „Außenstehende“ ist. Und wie sie und ihre Schwester einander seelischen Halt im Meer der Gewissenskonflikte geben – sich aber in ihrer bleiernen Kraftlosigkeit nicht mit ihrem Vater aussprechen können.

Bei den Bernheims handelt es sich um eine gutsituierte Familie – fast schon ein „Idealfall“. Wie wäre alles verlaufen, wenn sie knapp an der Armutsgrenze lebten oder wenn sie nicht so gut familiär sowie mit Ärzten und Rechtsberatern vernetzt wären. Wenn, wenn, wenn …

Lebensform, Lebensart und Lebensqualität sind individuell. Ob jung oder alt, vielleicht unheil­bar krank, niedergeschlagen oder verzweifelt – wie oft mögen Menschen sich den Tod herbeisehnen, weil sie allein sind, keinen familiären Rückhalt haben? Die biografische Schilderung Emmanuèle Bernheims ist kein Sachbuch und bietet keine Übersicht, welche Alternativen es gegeben hätte.

Welch hervorragende Dienste leisten hierzulande Ärzte und Ärztinnen, Therapeutinnen und Therapeuten, Geistliche und gut ausgebildete Pflegekräfte? Welche Möglichkeiten bietet die Palliativmedizin? Was ist heute bereits erlaubt? Soll überhaupt – und wenn, wie schnell, eine Bitte nach selbstbestimmtem Sterben erfüllt werden? Gedanken, die dem Leser und der Leserin während der Lektüre vielleicht durch den Kopf gehen …

Das Buch wühlt auf – es schildert eine persönliche Erfahrung und wirft dabei viele Fragen auf. Es nimmt niemandem die eigene Entscheidung ab, nicht den direkt Betroffenen und nicht den Menschen, für die die ethische Frage nach einem selbstbestimmten Sterben derzeit keine (persönliche) Rolle spielt.

 

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2014 / S.06