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Wenn Argumente nicht überzeugen

Werberummel um Entresto® bei Herzschwäche

Bei einer Herzschwäche – auch Herzinsuffizienz genannt – ist eine konsequente medikamentöse Therapie unerlässlich. Seit 2015 ist ein neues Kombinationspräparat am Markt, das der Hersteller mit viel Aufwand bewirbt. Doch die wissenschaftlichen Belege für die Vorteile des teuren Medikaments sind eher mager (GPSP 4/2016, S. 12), daran ändert auch eine neue Studie nichts. Nun zielt das Marketing auf die Gefühle der Verschreiber. Wir zeigen Ihnen, wie das läuft, und erklären, wem Entresto® eventuell Vorteile bringen kann und wem nicht.

Bei Entresto® handelt es sich um eine Kombination aus zwei Wirkstoffen: Valsartan, ein bewährtes Mittel gegen Herzinsuffizienz, und Sacubitril, ein neuer Wirkstoff.

In der Zulassungsstudie „PARADIGM-HF“ für Entresto® kam es bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz zu weniger Krankenhausaufnahmen als bei einer Standardtherapie. Auch die Sterblichkeit war geringer.1 Dies klingt zunächst sehr gut, aber bei genauer Betrachtung fällt das Ergebnis nicht so gut aus. Denn bei weitem nicht alle Patienten und Patientinnen mit Herzinsuffizienz hatten einen Nutzen von diesem neuen, im Vergleich zu den Standardmedikamenten deutlich teureren Arzneimittel.

© Thomas Kunz

Vorteile nur für Wenige

Bislang scheint das Mittel möglicherweise nur für Personen vorteilhaft zu sein, auf die alle der folgenden drei Merkmale zutreffen:

  • stark verminderte Pumpleistung der linken Herzkammer (unter 40%).
  • ein deutlich erhöhter Wert (≥600 pg/ml) für den B-Typ des natriuretischen Peptids, einem Hormon das im Herzen gebildet wird und die Wasserausscheidung der Nieren verstärkt.
  • Wenn die Standardtherapie2 die Symptome nicht ausreichend lindert.

Nur etwa ein Viertel aller Patienten mit Herzschwäche erfüllen alle drei zuvor genannten Kriterien und könnten dadurch Nutznießer von Entresto® sein. Bei allen anderen Formen der Herzschwäche und auch bei Diabetikern ließ sich bislang kein Vorteil gegenüber der Standardtherapie nachweisen.3

Nicht für alle verträglich

Ein Nachteil von Entresto® ist die schlechte Verträglichkeit. Etwa jede vierte Person kommt mit der empfohlenen Dosierung auf Dauer nicht klar. Der Blutdruck kann stark sinken oder die Kalium- oder Nierenwerte gefährlich ansteigen. Sacubitril hemmt neben dem Abbau von natriuretischen Peptiden auch den Abbau anderer Hormone (z.B. Adrenomodullin). Das führt zur Gefäßerweiterung und kann zum Beispiel auch Schwellungen im Gewebe (sogenannte Angioödeme) auslösen. Weil diese Probleme bekannt waren, wurde in der PARADIGM-HF-Studie die Verträglichkeit von Entresto® vorab getestet. Knapp 20% der Patienten und Patientinnen wurde wegen Nebenwirkungen gar nicht erst in die Studie aufgenommen, das schönt die Ergebnisse. Weitere 10% setzten das Medikament im Studienverlauf wegen Nebenwirkungen ab.1

In der Praxis werden die Patienten zudem oft mit viel niedrigeren Dosen von Entresto® behandelt als in der PARADIGM-HF-Studie. Das macht mögliche Vorteile der Therapie zunichte.4

Außerdem ist – wie bei allen neuen Wirkstoffen – die Langzeit-Sicherheit von Entresto® noch unklar. Darum hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde dem Hersteller auferlegt, die Auswirkungen des Mittels auf Gehirnfunktionen zu untersuchen.

Wegen dieser Unsicherheiten und Kritik an der Zulassungsstudie bemängelte GPSP, dass Entresto® als „neuer Standard“ für die Herzinsuffizienztherapie bezeichnet wird.5 Offensichtlich teilten auch die meisten Ärztinnen und Ärzte diese Einschätzung und verschrieben das Mittel eher zurückhaltend.6 Die Verkaufszahlen blieben zunächst deutlich hinter den Erwartungen zurück, ein Problem für den Hersteller Novartis, möchte er doch seine Entwicklungs- und Marketingkosten möglichst zügig wieder einspielen und seinen Aktionären hohe Gewinne ausschütten.

An Studien gespart

Vernünftig und wissenschaftlich korrekt wäre gewesen, all die offenen Fragen zu Entresto® durch weitere aussagekräftige Studien zu klären. Das unterblieb. Vielmehr lieferte der Hersteller kleinere Studien nach, deren Ziel in erster Linie eine Ausweitung der Indikation für sein Medikament sein dürfte.

Bislang ist die Zulassung auf die chronische Herzinsuffizienz beschränkt. Nun wurde Entresto® auch bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz getestet (PIO­NEER HF-Studie). Dabei kann der Körper die schwächere Herzfunktion nicht mehr ausgleichen, Wasser sammelt sich in den Beinen und/oder in den Lungen. Betroffene bekommen schwer Luft und müssen nicht selten auf einer Intensivstation behandelt werden. In der PIONEER HF-Studie wurden solche Akutpatienten mit Entresto® oder einem ACE-Hemmer (Enalapril) behandelt.

Das Resultat: Entresto® senkte zwar den NT-pro BNP-Wert schneller und stärker als die Standardtherapie mit ACE-Hemmern, ein Nutzen für Endpunkte, die für Patienten relevant sind – Überleben, erneute Krankenhausbehandlungen wegen Herz­insuffizienz, bessere Lebens­qualität – wurde aber nicht nachgewiesen oder erst gar nicht geprüft.7 Immerhin war Entresto® nicht schlechter verträglich als der ACE-Hemmer.7 Ohne guten Grund fordern viele Spezialisten jetzt trotzdem, dass Entresto® künftig auch bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz  im Krankenhaus als Ersttherapie verordnet werden sollte, also ohne den „Umweg“ über die seit Jahren bewährte Standardtherapie mit einem ACE-Hemmer. Das schafft Fakten und garantiert die – für den Hersteller lukrative – Weiterbehandlung mit dem neuen Medikament auch nach der Krankenhausentlassung.8 Für diese Indikation ist aber Entresto® bislang überhaupt nicht zugelassen.

Statt Fakten Geschichten

Unterdessen rührt der Hersteller kräftig die Werbetrommel für Entresto®. Im Internet, Radio und Fernsehen laufen Informationskampagnen zu Herzschwäche9,10 („für detaillierte Informationen wenden Sie sich am besten direkt an Ihren Arzt“), und in den Fachmedien und auf Ärztekongressen ist Entresto® überall gegenwärtig. „ACE-Hemmer: Schnee von gestern“ oder „Herzinsuffizienz wirksamer behandeln – stärkerer Schutz von Anfang an“, so lauten dort die Botschaften.11,3

Auffallend ist, dass die „Aufklärung“ der Ärzte über die Vorteile von Entresto® – sehr häufig an Hand einzelner Patientenschicksale geschieht. Die Experten erzählen Geschichten von erheblichen Verbesserungen in der Lebensqualität ihrer Patienten, und sogar Ärzte die angeblich selbst von Herzinsuffizienz betroffen sind, berichten wie gut ihnen das Medikament tut.12 Kurioserweise werden diese Geschichten teilweise sogar als Bühnenstück mit Schauspielern erzählt.13

Wenn überzeugende Argumente fehlen, appelliert das Marketing eben verstärkt an die Gefühle der Verschreiber. Indes sieht es danach aus, dass die Strategie leider aufgeht: Die Verordnungszahlen von Entresto® haben sich in den letzten drei Jahren mehr als verdreifacht.6

© drbimages/ iStockphoto.com
© drbimages/ iStockphoto.com

Was bleibt?

Für Patienten mit Herzschwäche ist es wichtig zu wissen, dass es nach der nationalen Versorgungsleitlinie Herzinsuffizienz14 klare und vernünftige Regeln für die Anwendung von Entresto® gibt. Es handelt sich um eine Therapie bei fortgeschrittener chronischer Herzinsuffizienz (Stufe III) bei stark verminderter Pumpleistung der linken Herzkammer. Nur etwa ein Viertel aller Patienten mit Herzinsuffizienz erfüllen diese Kriterien. Entresto® kann bei dieser Gruppe zum Zuge kommen, wenn sich trotz optimaler Behandlung mit den Standard-Medikamenten die Symptome nur wenig bessern. Entresto® ersetzt dann den ACE-Hemmer (oder Angiotensin-II-Rezeptorblocker).

Für Patienten und Patientin­nen mit ei­nem Kaliumspiegel >5,4 mmol/l oder mit einem systolischen Blutdruck unter 100mmHg kommt Entresto® nicht infrage. Weil das Risiko eines Angio­ödems mit raschem Anschwellen von Haut und Schleimhäuten – besonders im Gesicht und Nasen-Rachenraum – erhöht ist, darf das Medikament keinesfalls gemeinsam mit einem ACE-Hemmer eingenommen werden. Auch bei einer Umstellung ist aus diesem Grund ein Sicherheitsabstand von 36 Stunden nach Absetzen des ACE-Hemmers einzuhalten.

Wichtig ist, dass die höchste tolerierte Dosis angestrebt wird (möglichst 2 x 200mg pro Tag) und bei einer Umstellung der Blutdruck sowie Laborwerte regelmäßig kontrolliert werden, um die wichtigsten Nebenwirkungen (Blutdruckabfall und kritische Kaliumanstiege) rechtzeitig erkennen zu können.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2019 / S.16