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Tamiflu®: Zweifel an der Wirksamkeit

Studiendaten unter Verschluss

Der Nutzen des Wirkstoffs Oseltamivir (Tamiflu®), der Infektionen mit Grippeviren bekämpfen soll, ist seit seiner Marktzulassung umstritten.1 Dennoch haben Regierungen, etwa in den USA und Deutschland, im Jahre 2005 aus Furcht vor einer Grippe- oder Vogelgrippeepidemie große Vorräte einlagern lassen.

Sie erhoffen sich von dem Mittel, dass es Komplikationen und Krankenhausbehandlungen verringern kann. Genährt wurde diese Hoffnung durch eine Analyse, in der die Daten von 10 verschiedenen Studien zusammengeführt wurden, „gepoolt“, sagt der Fachmann. Das Problem bei dieser Auswertung: Bis auf den Erstautor Laurent Kaiser sind alle Autoren entweder Angestellte oder bezahlte Berater des Oseltamivir-Anbieters Roche.2 Außerdem: Es sind nur 2 der 10 Studien vollständig veröffentlicht (zur selektiven Veröffentlichungspraxis siehe auch Interview auf Seite 12).

Eine Gruppe aus dem internationalen Cochrane-Verband, der systematisch Therapiemöglichkeiten bewertet, hatte sich anfänglich positiv zu Oseltamivir geäußert. Wegen wachsender Kritik an der Veröffentlichung von Kaiser entschied sich Cochrane für eine Neubewertung. Um zu analysieren, ob die Resultate verfälscht wurden, fragten die Cochrane-Wissenschaftler nach den individuellen Patientendaten aller zehn Studien, also auch aus den acht „geheimen“ Studien. Sie erhielten diese aber weder vom Erstautor Laurent Kaiser noch von den Autoren der einzelnen Studien oder der Firma Roche.3 Einer der Autoren teilte mit, er habe die Daten wohl weggeworfen.4 In der neuen Bewertung wurde die strittige Kaiser-Publikation folgerichtig nicht mehr berücksichtigt. Und nun war ein Einfluss von Oseltamivir auf die Grippekomplikationen nicht mehr abzusichern.5

Es bestehen weitere Zweifel an dem therapeutischen Nutzen. Die wichtigste Frage ist: Kann das Mittel überhaupt Todesfälle durch Grippe verhindern? Hilft es Grippekranken auch außerhalb klinischer Studien? Beobachtungsdaten aus der Praxis deuten jedenfalls auf nur minimalen Nutzen hin. Das Mittel kann andererseits beträchtlichen Schaden anrichten. GPSP berichtete über psychische Auswirkungen bei jungen Menschen (3/2007, S. 12). Offensichtlich hat Roche auch Einfluss auf wissenschaftliche Publikationen genommen, da sich von der Firma bezahlte „Ghostwriter“ als Autoren zu erkennen gegeben haben.4

Irritierend ist auch, dass Roche den Nutzen seines Präparats auf seiner deutschen Webseite6 viel positiver darstellt als auf der Webseite für Bürger der USA.7 Das liegt vielleicht daran, dass die dortige Zulassungsbehörde FDA, der alle Daten vorliegen, keine Belege dafür sieht, dass Oseltamivir vor Grippekomplikationen schützt. Nachgewiesen ist lediglich, dass die Krankheitsdauer von sonst Gesunden um etwa einen Tag verkürzt wird. Das ist dürftig. Der Steuerzahler ist der Dumme, denn mit seinem Geld wurden große Mengen von Tamiflu® eingelagert. Unabhängige Wissenschaftler und Medizinjournalisten sehen sich deshalb in ihrer Forderung bestärkt, dass Studiendaten vollständig veröffentlicht und zugänglich sein müssen. Das könnte solche Fehlentscheidungen verhindern.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2010 / S.05