Riskante Antibabypillen
Viel zu oft verordnet
All die verschiedenen Antibabypillen, die als Wirkstoff ein Östrogen und ein Gestagen enthalten, verhüten etwa gleich zuverlässig. Sie unterscheiden sich allerdings in ihrem Risiko, ein Blutgerinnsel (Thrombosen) und dadurch lebensbedrohliche Verschlüsse von Blutgefäßen (Embolien) auszulösen. Der Unterschied geht auf das Konto des jeweiligen Gestagenbestandteils. Bei „modernen Pillen“ der so genannten 3. und 4. Generation entstehen bis zu doppelt so häufig Blutgerinnsel wie bei Präparaten der 2. Generation mit einem verträglicheren Gestagen wie Levonorgestrel (z.B. in Minisiston®, Miranova® u.a.).
Eigentlich sollten vor allem die besser verträglichen Levonorgestrel-haltigen Pillen verordnet werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betont zumindest, dass Ärzte „insbesondere für Erstanwenderinnen und Anwenderinnen unter 30 Jahren … die Verordnung eines KOK (also einer kombinierten Pille mit Östrogen und Gestagen, Red.) mit bekannt niedrigem VTE-Risiko (einer geringeren Gefährdung durch Blutgerinnsel in den Venen, Red.) bevorzugen“ sollten.2
Diese Empfehlung der Bundesoberbehörde an Ärzte reicht allerdings nicht aus. In den Produktinformationen für Ärzte fehlt eine eindeutige und richtungsweisende Angabe, welche Pillen vorzuziehen sind. Dort heißt es unkonkret: „Das Risiko von Blutgerinnseln sollte mit dem anderer hormonhaltiger kombinierter Pillen verglichen werden.“ Besser wäre aber beispielsweise eine Formulierung wie: „Präparate der 3. und 4. Generation nur verwenden, wenn die weniger riskanten Levonorgestrel-haltigen Präparate nicht vertragen werden“.
Zwar können Ärzte und Ärztinnen den Produktinformationen inzwischen entnehmen, dass Pillen der 3. und 4. Generation bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen pro Jahr Blutgerinnsel verursachen, während diese Komplikation unter Levonorgestrel-haltigen Präparaten bei etwa 6 von 10.000 Frauen pro Jahr vorkommt. Das Ausmaß und die Bedrohlichkeit der Schädigung werden damit jedoch nicht deutlich. Es dominiert der Eindruck, dass die potenziell lebensbedrohlichen Folgen extrem selten sind.
Diesen Eindruck verstärkt der Berufsverband der Frauenärzte e.V. in einer unseres Erachtens bedenklichen Pressemitteilung. Dort werden Thrombosen durch Pillen der 3. Generation mit Drospirenon und durch Levonorgestrel-haltige Präparate gleichermaßen als „sehr seltene Komplikation“ beschrieben, um dann letztlich die riskanteren Pillen mit Drospirenon zu propagieren.3
Da aber in Deutschland etwa 5 bis 6 Millionen Frauen Jahr für Jahr die Pille nehmen, haben auch gering erscheinende Unterschiede in der Häufigkeit von Blutgerinnseln und Lungenembolien erhebliche Konsequenzen. Das arznei-telegramm®, eine der Gründerzeitschriften von GPSP, hat nachgerechnet: Allein bezogen auf Pillen mit dem Gestagen Drospirenon ließen sich hierzulande 250 Erkrankungen an Blutgerinnseln und dem damit verbundenen Risiko lebensbedrohlicher Lungenembolien vermeiden, wenn stattdessen Levonorgestrel-Präparate verordnet würden.4
Daten aus Frankreich
Dass dies keine bloße Zahlenspielerei ist, bestätigen jetzt Erfahrungen aus Frankreich: Dort werden die Kosten der Pillen der 3. und 4. Generation nicht mehr erstattet, und die besonderen Risiken dieser Präparate wurden – angeregt durch Berichte über Todesfälle – in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Die Folge: Diese Präparate wurden 2013 nur noch fast halb so häufig (minus 45%) verordnet wie im Jahr davor. Zeitgleich haben Frauen deutlich mehr Antibabypillen mit Levonorgestrel eingenommen. Und es wurden häufiger Spiralen und Implantate verordnet.
Parallel zu diesen Umschichtungen mussten in Frankreich 11,2% weniger 15- bis 49-jährige Frauen wegen einer Lungenembolie in die Klinik. Es gab in dieser Gruppe 341 weniger Einweisungen aus diesem Grund. Bei gleichaltrigen Männern oder älteren Frauen sind die Zahlen hingegen gleich geblieben. Die französische Arzneimittelbehörde sieht das als Bestätigung dafür, dass sich Lungenembolien durch die gezielte Auswahl weniger risikoträchtiger empfängnisverhütender Mittel reduzieren lassen.5
Damit auch in Deutschland weniger Frauen die riskanteren Pillen der 3. und 4. Generation verwenden, sollten diese nur im begründeten Ausnahmefall verordnet werden dürfen. Hilfreich wäre es auch, wenn deren Kosten – wie in Frankreich – nicht mehr von den Krankenkassen erstattet würden. Bislang werden in Deutschland Antibabypillen bei Frauen bis zum 20. Lebensjahr generell erstattet.
Lassen sich die Verordnungen von Pillen der 3. und 4. Generation auch weiterhin nicht eindämmen, plädieren wir aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes für ein Verbot dieser Präparate.6
Stand: 23. Juni 2015 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2015 / S.22